Die Effizienzprüfung der Aufsichtsratstätigkeit gehört seit dem Jahre 2002 zum festen Bestandteil der Corporate Governance für börsennotierte Gesellschaften. Nach Ziffer 5.6 des Deutschen Corporate Governance Kodex soll der Aufsichtsrat regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen. Diese Empfehlung wird nach den Befunden des Kodex Reports 2009 in hohem Maße akzeptiert (100% im DAX, 97% im MDAX, 80% im TecDAX, vgl. v. Werder/Talaulicar, DB 2009, 193). Sie ist nach Entstehungsgeschichte und Wortlaut der Idee einer Selbstbewertung verpflichtet, auch wenn die Mitwirkung Dritter nicht verboten ist. Nach einer aktuellen Erhebung belassen es daher 70% der DAX und MDAX-Aufsichtsräte bei einer Eigenbeurteilung; eine externe Evaluierung erfolgt nur in etwa 16% der Fälle.
Das Grünbuch der Europäischen Kommission zur Corporate Governance in Finanzinstituten vom Juli 2010 deutet in diesem Punkt womöglich eine Veränderung an: Nach Auffassung der Kommission ist es notwendig, den Prozess der Leistungsbeurteilung des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats stärker zu formalisieren. Insoweit erwägt sie, die Bewertung durch externe Prüfer verbindlich vorzuschreiben und deren Ergebnis den Aufsichtsbehörden und/oder den Aktionären zugänglich zu machen. Im gerade veröffentlichten „Feedback Statement“ der Kommission, das die Stellungnahmen der Marktakteure und Verbände aus den 27 Mitgliedstaaten zusammenfasst, heißt es zu diesem Diskussionsvorschlag:
„The majority of the respondents that provided an answer to this question consider that evaluation of the board performance carried out by an independent expert could be a useful tool to assess the board’s performance. There is a general agreement that it should at least be best practice. However, a number of respondents mentioned that there are for the time being too few external evaluators of sufficiently good quality to make the external evaluation mandatory for each financial institution.”
Im Lichte dieses Konsultationsergebnisses steht die externe Evaluierung von Aufsichtsräten ernsthaft auf der rechtspolitischen Agenda. Daran haben die ablehnenden Stellungnahmen nahezu aller deutschen Interessenverbände und Organisationen (BDI, BDA, Deutsches Aktieninstitut, Zentraler Kreditausschuss, Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex) nichts geändert. Will man hierzulande die zukünftige Weichenstellung in Europa nicht verpassen, so ist es jetzt an der Zeit, sich eingehender mit dem Für und Wider einer verpflichtenden Fremdevaluierung zu beschäftigen. Hier seien vorerst nur zwei Argumente genannt: Die Befürworter einer Fremdevaluierung verweisen auf die Vorzüge einer objektiven und unbefangenen Beurteilung durch unabhängige Dritte; ihre Gegner erwidern, dass es mit Objektivität allein nicht getan sei, weil den externen Evaluatoren in der Regel die intime Kenntnis der Geschehnisse in der Aufsichtsratssitzungen fehle. In polemischer Zuspitzung könnte man noch hinzufügen, dass eine Pflicht zur externen Evaluierung unweigerlich ein neues Beschäftigungsprogramm für Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer schaffen und das ungehemmte Wachstum der Corporate Governance Industrie in Deutschland und Europa weiter befördern würde.