Innerkonzernliche Treuhandgeschäfte in der juristischen Aufarbeitung der Lehman-Pleite

In einer Aufsehen erregenden Entscheidung vom 7. 10. 2010 hat das LG Frankfurt/M. zur Rückabwicklung von Treuhandgeschäften im Interbankenverkehr Stellung genommen (2/23 O 385/09). Dabei ging es um die  1 Mrd. US-$, die die Lehman International Europe,  eine englische Tochter des Lehman Brothers-Konzerns noch am 12. 9. 2008 an die in Frankfurt ansässige Lehman AG – ebenfalls eine Tochter des Lehman Brothers-Konzerns – überwiesen hatte.  Am 15. 9. 2008 wurde über das Vermögen der englischen Gesellschaft das Insolvenzverfahren in England eröffnet und von der BaFin gemäß § 46a Kreditwesengesetz ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot („Moratorium“) gegenüber der deutschen Gesellschaft erlassen.  Am selben Tag hätte die 1 Mrd. US-$ verzinst an die englische Gesellschaft zurückgezahlt werden sollen. Infolge des Moratoriums unterblieb die Zahlung. Am 13. 11. 2008 wurde über die Lehman AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Anerkennung der Forderung von Lehman International Europe  zur Insolvenztabelle der deutschen Lehman AG wurde von deren Insolvenzverwalter verweigert. Die englische Gesellschaft klagte – vereinfacht – auf Auskunft über den Verbleib der 1 Mrd. US-$ und Auszahlung des sich danach ergebenden Betrags nebst Zinsen. Außerdem begehrte sie die Ersatzaussonderung sowie Schadensersatz in Höhe der Differenz zur Insolvenztabelle festzustellen.

Streitig war die Auslegung zweier Schreiben: In einem ersten Schreiben von Anfang Februar 2003 bestätigte die Lehman AG, dass sämtliche Guthaben auf Konten der Lehman Int’l Europe von der Lehman AG als Treuhänderin verwahrt werden und die Bank diese Gelder von anderen Geldern getrennt verwalten wird. In einem zweiten Dokument vom 12./14. 2. 2003 teilte Lehman Int’l Europe der Lehman AG mit, dass sämtliche Gelder auf dem Konto L. (Europe) Client Segregated Account von ihr – der Lehman Int’l Europe –  als Treuhänderin verwahrt werden, und dass die Lehman AG die erforderlichen Vorkehrungen treffen müsse, damit sämtliche Gelder, die bei ihr unter dem o. g. Namen eingehen, intern als „Kundengelder“ verbucht werden. Zugleich wurden die Gelder als „Einlage“ bezeichnet.

Das LG Frankfurt/M.  hat die Klage abgewiesen. Mangels Treuhandabrede bestehe nämlich kein Auskunftsanspruch. Das Schreiben vom 12. 2. 2003, das die Lehman AG am 14. 2. 2003 gegengezeichnet hat, bezeichne die lehman Int’l Europe und nicht die Lehman AG als Treuhänderin. Auch bezeichne es die Gelder als Einlage. Diese diene charakteristischerweise der Refinanzierung einer Bank und könne nicht zugleich Treugut sein. Dem stehe das erste Schreiben nicht entgegen, in dem u. a. die Lehman AG als Treuhänderin bezeichnet wird.

Dies ergebe sich im Rahmen einer Auslegung. Mangels ausdrücklicher Rechtswahl unterlägen beide Schreiben dem deutschen Recht. Die Entgegennahme von Geldern sei bei Treuhand und Einlage die charakteristische Leistung. Diese Aussage trifft zu und lässt sich auch für die Zukunft so machen; die seit dem 17. 12. 2009 geschlossenen Verträge unterliegen der Verordnung (EG) 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (näher Kindler, Einführung in das neue Internationale Privatrecht des Wirtschaftsverkehrs, 2009).

Zur Auslegeung der Schreiben anhand des BGB: Das zweite Schreiben sei als Ablehnung des ersten, verbunden mit einem neuen Angebot, auszulegen (§ 150 Abs. 2 BGB) und von Lehman Int’l Europe durch Gegenzeichnung angenommen worden.  Da der Treuhänder in beiden Schreiben unterschiedlich definiert wurde, käme keine ergänzende Auslegung in Form einer „Kettentreuhand“ in Betracht. Die Treuhandabrede sei im Nachgang nicht „weitergereicht“ worden. Die Unzulänglichkeit des Buchungssystems stehe dem nicht entgegen; dort sei von „loans“ und nicht „client segregated cash“ zur Kenntlichmachung von Kundengeldern die Rede. Auch entspreche dies dem wirtschaftlichen Zweck. Eine Einlage ermögliche einer Bank, mit den Geldern zur Refinanzierung zu arbeiten. Mangels Treuhandabrede gebe es keinen Aussonderungs- oder Ersatzaussonderungsanspruch nach §§ 47, 48 Insolvenzordnung. Ein Schadensersatzanspruch scheitere an einer Pflichtverletzung, da die Lehman AG mit dem Geld „arbeiten“ durfte. Ob es sich um eine gem. § 39 Abs. 1 Nr. InsO nachrangige Forderung handelt, könne dahingestellt sein, da die Rückforderung nicht streitgegenständlich sei.

Wie der Fall zeigt, besteht beim Vorliegen einer fiduziarischen Verwaltungstreuhand grundsätzlich ein Aussonderungs- und (hilfsweise) ein Ersatzaussonderungsrecht. Dafür muss sich aber das Treugut – hier; die 1 Mrd. US-$ – bestimmbar in der Masse befinden und grundsätzlich eine unmittelbare Vermögensübertragung erfolgen. Läge lediglich das erste Schreiben vor und wären die Gelder wie dort geregelt verwendet worden, wäre die Klage auf Auskunft und Feststellung zur Insolvenztabelle  begründet gewesen.  So aber wurde dieses Schreiben durch das nachfolgende Schreiben vom 12./14. 2. 2003 und eine anderweitige buchhalterische und tatsächliche Behandlung der Gelder „überholt“. Deshalb – und wegen der nur schwer aufzulösenden Widersprüche zwischen beiden Dokumenten –  überzeugt die Auslegung der Schreiben durch das Gericht.

Es ist für Juristen immer wieder überraschend, wie dilettantisch in der Unternehmenspraxis auch beim Umgang mit großen Vermögenswerten gearbeitet wird. Für die praktische Handhabung kann man nur dringend empfehlen, Treuhandabreden klar und eindeutig zu fassen und bei Ergänzungs- oder Nachtragsvereinbarungen und sonstigen flankierenden Dokumenten äußerste Sorgfalt walten zu lassen – zumal wenn es sich um englischsprachige, überlange Verträge handelt. Gleiches gilt für die tatsächliche Durchführung von Zahlungen, die entsprechend den getroffenen Vereinbarungen auf die dort vorgesehenen Konten erfolgen sollten. Das Urteil des LG Frankfurt/M. ist nicht rechtskräftig, Az. des OLG Frankfurt/M.:  3 U 268/10 (Berufungsverfahren).

Kommentare sind geschlossen.