Vorlage an EuGH im Verfahren gegen Daimler AG

 

RA Dr. Patrick Oliver Nordhues, Rechtsanwalt bei McDermott Will & Emery LLP, Düsseldorf

Der BGH hat dem EuGH im Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Daimler AG wegen angeblich verspäteter Ad-hoc-Mitteilung Fragen zur Auslegung der Marktmissbrauchs- und der Durchführungs-Richtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hintergrund des Musterverfahrens gegen die Daimler AG war das Ausscheiden von Jürgen Schrempp als Vorstandsvorsitzender der damaligen DaimerChrysler AG.

Nach der Hauptversammlung der Gesellschaft im April 2005 trug sich Schrempp mit dem Gedanken, vorzeitig aus dem Amt zu scheiden. Dies erörterte er im Mai 2005 mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper. Am 27. 7. 2005 beschloss der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats, dem Gesamtaufsichtsrat die Beschlussfassung über die Zustimmung zum einvernehmlichen Ausscheiden von Schrempp vorzuschlagen. Der Aufsichtsrat fasste daraufhin in seiner Sitzung vom 28. 7. 2005 einen entsprechenden Beschluss. Hierüber informierte die Gesellschaft die Geschäftsführungen der Börsen und die BaFin. Der Kurs der Aktien der DaimlerChrysler AG stieg noch am selben Tag um ca. 10%.

Musterentscheid des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart hat zu den Schadensersatzklagen zahlreicher Kapitalanleger in einem sog. Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) durch Musterentscheid vom 22. 4. 2009 (20 Kap 1/08) festgestellt, dass erst mit Beschlussfassung des Präsidialausschusses am 27. 7. 2005 eine Insiderinformation im Sinne des WpHG vorlag, da eine entsprechende Beschlussfassung durch den Gesamtaufsichtsrat am Folgetag hinreichend wahrscheinlich sei. Das OLG verneinte aber trotz der verspäteten Veröffentlichung eine Schadensersatzpflicht, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 WpHG für eine Selbstbefreiung von der Veröffentlichungspflicht vorgelegen hätten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung des OLG, dass die Selbstbefreiung bereits kraft Gesetzes, d. h. ohne formale Entscheidung des Emittenten eintreten solle. Dies war bislang umstritten und entspricht nicht der Verwaltungspraxis der BaFin.

Bußgeldverfahren vor dem OLG Frankfurt am Main

Einen gegenläufigen Beschluss zu der Frage des Vorliegens einer publizitätspflichtigen Insiderinformation hatte zuvor das OLG Frankfurt am Main am 12. 2. 2009 (2 Ss-OWi 514/08, DB 2009 S. 836) in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die damalige DaimlerChrysler AG erlassen. Nach Ansicht des Senats beginnt die Publizitätspflicht bereits dann, wenn der Bereich interner Willensbildung (Wunsch, das Amt niederzulegen) sich zu einer konkreten Tatsache verdichtet hat und das Ergebnis dieses Willensbildungsprozesses gegenüber einem Entscheidungsträger des Unternehmens als konkrete Tatsache objektiv nach außen zu Tage tritt.

Vorlage an den EuGH durch BGH

Der BGH (BGH-Beschluss vom 22.11.2010 – II ZB 7/09, DB 2011 S. 45)  sieht nunmehr in dem Rechtsbeschwerdeverfahren gegen den Musterentscheid des OLG Stuttgart die Entscheidung davon abhängig, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang Zwischenschritte (wie hier die Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden) selbstständig von Bedeutung und damit veröffentlichungspflichtig sein können oder nur dann, wenn der Eintritt des künftigen Ereignisses mit ihrer Verwirklichung hinreichend wahrscheinlich wird und ob die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts eine Beurteilung mit überwiegender oder sogar hoher Wahrscheinlichkeit verlangt. Dies lasse sich durch Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Marktmissbrauchs-Richtlinie und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Durchführungs-Richtlinie nicht zweifelsfrei beantworten. Der BGH hat daher das Verfahren ausgesetzt und diese Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

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