Englisch als Gerichtssprache

Über den „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden. Die durch die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs eingeforderte Niederlassungsfreiheit für ausländische Gesellschaften hat zunächst den Wettbewerb der Gesellschaftsrechte eröffnet, dann aber – wie schon vor gut einhundert Jahren mit der Einführung der GmbH – im MoMiG als Antwort zu radikalen Änderungen des deutschen Gesellschaftsrechts, vor allem bei der Kapitalverfassung, und zur Einführung der „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ geführt.

Inzwischen hat sich der Fokus verändert: Da sich durch Verlagerung des COMI (Center of Main Interest) ins Ausland auch (mehr oder weniger große) Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des anwendbaren Insolvenzrechts eröffnen, sieht sich der Gesetzgeber auch hier zu Reaktionen gezwungen, die in Form des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) gerade Gestalt angenommen haben.

Damit aber nicht genug: Nach ersten Versuchsregelungen in einigen Bundesländern steht demnächst auch auf Bundesebene eine Diskussion der Frage an, ob auf Antrag der Parteien vor deutschen Gerichten Verfahren in englischer Sprache durchgeführt werden können. Damit will man – ein legitimes Ziel – eine Neuorientierung bei bislang in der Regel auf Gerichte im Ausland (insbesondere New York und Genf) ausgerichteten Gerichtsstandsvereinbarungen bei großen wirtschaftsrechtlichen Vertragswerken erreichen. Denn diese Verträge werden typischerweise in englischer Sprache geschlossen, und die gemeinsame Vertragssprache der Parteien (jedenfalls ihrer Anwälte) ist ebenfalls das Englische.

Ob allerdings allein die Option einer Gerichtsverhandlung in englischer Sprache reicht, um den Gerichtsstandort Deutschland nach jahrzehntelanger Abwanderung von Verfahren ins Ausland in der erhofften Weise wieder zu beleben, steht auf einem anderen Blatt. Praktiker in den Vereinigten Staaten verweisen hier nämlich gerne auf die in US-Verfahren deutlich größere Transparenz des gerichtlichen Verfahrens, von der Deutschland noch meilenweit entfernt sei. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Internet-Zugang zu allen (laufenden!) Gerichtsakten zu, wie er auf Bundesebene (wovon auch die Bundes-Insolvenzgerichte erfasst sind) auf der Grundlage von PACER (Public Access to Court Electronic Records) ermöglicht wird (www.pacer.gov); das zunächst (seit 1988) nur gerichtsintern verwendete System wurde ab 2001 für die allgemeine Öffentlichkeit frei geschaltet. Die (wirtschaftlich) wichtigsten Einzelstaaten (etwa New York, Delaware und Kalifornien) verfügen über ähnliche Systeme.

Auf der Grundlage der (zwingend) elektronisch eingereichten Schriftsätze hat jedermann (also nicht nur Anwälte) nach Registrierung Zugang zur kompletten laufenden Gerichtsakte aller vor einem Gericht anhängigen Verfahren. Er kann daher insbesondere alle eingereichten Schriftsätze lesen und herunterladen, aber auch die Zwischenverfügungen des Gerichts (etwa – in deutscher Terminologie – Beweiserhebungsbeschlüsse) – in einem Verfahren wie der Insolvenz von Lehman Brothers mehrere Tausend Schriftsätze; Parallelverfahren sind miteinander verlinkt. Lediglich besonders sensible Daten (wie die Social Security Numbers von natürlichen Personen) sind nicht öffentlich zugänglich.

Parteien (bzw. deren Anwälte) können auf diesem Wege schneller und umfassender als früher vorab feststellen, welche Argumente ein Gericht (bzw. ein bestimmter Richter) in einem Parallelverfahren für tragend erachtet (oder eben nicht). Aber sie können auch die Schriftsätze anderer Anwälte aus anderen Verfahren (die als „public record“ urheberrechtsfrei sind) kopieren, wenn sie sie für gut halten, so wie umgekehrt deren mangelhafte Qualität auch jedermann zugänglich ist. Schließlich ist es auch möglich, widersprüchliches Verhalten von Anwälten oder Parteien aufzudecken, die in unterschiedlichen Verfahren (oder gar vor unterschiedlichen Gerichten) abweichende oder sich gar widersprechende Positionen vertreten.

Das alles ist nicht kostenfrei, aber die Kosten sind recht moderat ($ 0,08 pro herunter geladener Seite [ungeachtet ihres Ausdrucks auf Papier], bei einem Maximalbetrag von – im Allgemeinen $ 2,40 pro Dokument). Zudem bleibt eine Nutzung, die einen Betrag von $ 10/Quartal unterschreitet, kostenfrei; Gleiches gilt – aber nur auf besonderen Antrag – im Falle der Gewährung von „Prozesskostenhilfe“. Die elektronisch erfolgende Abrechnung ist so ausgelegt, dass kanzleiintern die entsprechenden Kosten gleich dem betreffenden Mandanten in Rechnung gestellt werden können. Wer nicht selbst recherchieren will, kann dies gegen eine Gebühr von $ 26 pro Fall (zuzüglich Seitenpreis) auch vom PACER Service Center für sich erledigen lassen.

Was folgt daraus für unsere Diskussion? Man könnte einmal argumentieren, dass allein die Einführung des Englischen als Gerichtssprache nur ein erster Schritt im Wettbewerb der Prozessrechte ist. Aber man könnte ebenso gut sagen, dass dies allein ohnehin nicht reicht – und deshalb keine sinnvolle Maßnahme ist. Also: Alles offen!

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