Am 10. 3. 2011 legte der Generalanwalt beim EuGH, Yves Bot, seine Schlussanträge zu einem aufsehenerregenden Verfahren hinsichtlich der Patentierbarkeit von Erfindungen unter Nutzung embryonaler Stammzellen vor. Grundlage der dem EuGH vom BGH vorgelegten Entscheidung ist ein im Jahr 1999 erteiltes Patent des Erfinders Prof. Dr. Brüstle. Dieser hatte unter Verwendung embryonaler Stammzellen eine Erfindung zum Patent angemeldet, das unter anderem „isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen unbegrenzter Menge, die Verwendung der neuralen Vorläuferzellen zur Therapie von neuralen Defekten und zur Gewinnung von Polypeptiden“ zum Gegenstand hat.
Gegen dieses Patent wurde im Jahr 2004 durch Greenpeace Klage erhoben und die Nichtigerklärung des Patents beantragt, soweit einzelne Patentansprüche Vorläuferzellen umfassen, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Zunächst gab das Bundespatentgericht der Klage seitens Greenpeace teilweise statt und erklärte das Patent für nichtig, soweit einzelne Patentansprüche Vorläuferzellen, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden, und deren Herstellung erfassen. Gegen diese Entscheidung legte der Patentinhaber, Prof. Dr. Brüstle, Berufung beim BGH ein. Im Rahmen der Prüfung der Berufung hat der BGH beschlossen, spezifische Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH vorzulegen und das Verfahren in der Zwischenzeit auszusetzen.
Hintergrund der Vorlage durch den BGH ist die Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen. Aus Sicht des BGH hängt seine Entscheidung in diesem Rechtsstreit von der Auslegung spezifischer Begriffe der vorgenannten Richtlinie ab. Im Rahmen der Vorlage wird daher seitens des BGH insbesondere die Auslegung des Begriffs des menschlichen Embryos angefragt, da der Begriff in der vorgenannten Richtlinie zwar genannt, nicht aber definiert wird. Es soll hierbei durch den EuGH auch die Frage beantwortet werden, welche Entwicklungsstadien für den Begriff des menschlichen Embryos umfasst sind.
Im Rahmen des Verfahrens vor dem EuGH hat sich der Generalanwalt Yves Bot in seinen Schlussanträgen für eine sehr weit reichende Auslegung des Begriffs des menschlichen Embryos und der umfassten Entwicklungsstadien ausgesprochen. Auch Zellen, aus denen sich ein Mensch entwickeln könnte, sieht der Generalanwalt als Embryo im Sinne der Richtlinie 98/44/EG an. Es handelt sich aus seiner Sicht bei diesen sog. totipotenten Zellen um das erste Stadium des menschlichen Körpers, da diese Zellen die unbegrenzte Fähigkeit haben, sich zu teilen und zu spezialisieren. Auch eine sog. Blastozyste – ein späteres Stadium in der embryonalen Entwicklung welches den sog. totipotenten Zellen nachfolgt – sieht Yves Bot als „Produkt des normalen Wachstums der Ausgangszellen“ und damit als Embryo an. Nicht als Embryo stuft der Generalanwalt zunächst sog. pluripotente Stammzellen ein. Allerdings soll aus seiner Sicht eine Erfindung, die sich wie die Erfindung von Prof. Dr. Brüstle auf pluripotente Stammzellen bezieht nur dann patentierbar sein, wenn die Stammzellen nicht durch die Zerstörung oder Schädigung eines Embryos gewonnen werden. Dies ist im vorliegenden Fall relevant, da die Erfindung eine Entnahme der pluripotenten Stammzellen aus Blastozysten vorsieht und diese dadurch zerstört werden. Laut Einordnung des Generalanwalts handelt es sich damit aber um eine schädigende Entnahme aus einem Embryo.
Der Generalanwalt kommt zu dem Schluss, dass eine Erfindung abgesehen von wenigen Ausnahmen nicht patentierbar sei, wenn die Durchführung des Verfahrens die vorherige Zerstörung menschlicher Embryonen oder ihre Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, selbst wenn in der Beschreibung dieses Verfahrens im Patentantrag nicht auf die Verwendung menschlicher Embryonen Bezug genommen wird. Er verweist diesbezüglich auf einen Verstoß gegen ethische Grundsätze und die öffentliche Ordnung und spricht damit der Erfindung von Prof. Dr. Brüstle die Patentierbarkeit ab soweit die vorgenannten Aspekte erfüllt sind. Den Einwand des Erfinders, dass seine Erfindung im Rahmen der ohnehin sehr strengen deutschen Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes gemacht wurde, ließ den Generalanwalt unbeeindruckt.
Es bleibt abzuwarten, welchen Standpunkt die Richter des EuGH in dieser Sache einnehmen werden. Generell sind die Schlussanträge des Generalanwalts für den EuGH nicht bindend. Es ist allerdings zu beobachten, dass die Schlussanträge der Generalanwälte oftmals die Grundlage des nachfolgenden Urteils bilden. Sollte der EuGH in der in den nächsten Monaten zu erwartenden Entscheidung tatsächlich den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen, so könnte dies deutliche negative Auswirkungen auf den Forschungsstandort Deutschland und ganz Europa haben. Es ist davon auszugehen, dass renommierte Stammzellforscher Europa verlassen und in Länder mit deutlich weniger restriktiven Regelungen hinsichtlich der Forschung und Patentierung von mit Stammzellen gewonnenen Erfindungen abwandern. Daneben ist im Falle einer derartigen Entscheidung davon auszugehen, dass auch andere ethisch umstrittene Projekte wie beispielsweise die Präimplantationsdiagnostik in der Diskussion neu belebt werden.