Nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein Vertrag von Anfang unwirksam, wenn die Vergabestelle einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einen Nachprüfungsverfahren festgestellt wurde (sog. De-Facto-Vergabe). Die Unwirksamkeit einer De-Facto-Vergabe kann nach Abs. 2 nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes (bzw. 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe), jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht wurde.
Der Vergabesenat des OLG München (10. 3. 2011 – Az.: Verg 1/11) hatte vor diesem Hintergrund die Frage zu entscheiden, ob die oben genannten Ausschlussfristen für die Geltendmachung einer vermeintlichen De-Facto-Vergabe, verlängert oder gehemmt werden können. Die Münchner Richter haben hierzu festgestellt, dass gesetzliche Ausschlussfristen „nicht starr und unumstößlich“ sind. Entscheidend ist, ob es sich um materielle oder formelle Ausschlussfristen handelt. Nach Meinung des bayerischen Vergabesenates sind die Ausschlussfristen des § 101b Abs. 2 GWB formelle Ausschlussfristen, „weil sie die prozessuale Geltendmachung materiellrechtlicher Verstöße nach einer gewissen Frist im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht mehr möglich machen“.
Für die Beschaffungspraxis sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
Auf die in § 101b Abs. 2 GWB geregelten Ausschlussfristen finden die Verjährungsvorschriften (z. B. Hemmung) nach dem BGB keine entsprechende Anwendung. So kann deshalb z. B. der Zeitraum nicht in die Ausschlussfrist eingerechnet werden, den der öffentliche Auftraggeber den Antragsteller im Glauben gelassen hat, er werde eine Vertragsaufhebung vornehmen, um eine ordnungsgemäße Vergabe zu ermöglichen.
Unternehmen, die durch eine De-Facto-Vergabe verletzt sind, müssen die Ausschlussfristen grundsätzlich zwingend beachten, um ihr Recht auf ein vergaberechtskonformes Verfahren wahren zu können.
Eine Ausnahme kann allenfalls in Betracht kommen, wenn ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens vorliegt.