Im vergangenen Jahr hat eine private Initiative eine überarbeitete Fassung des Governance Kodex für Familienunternehmen vorgestellt, dessen Rolle seither kontrovers diskutiert wird. Ihren Ursprung findet die Debatte um gute Corporate Governance im Bereich der börsennotierten Publikumsgesellschaften, für die der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) wesentliche Regelungen festlegt. Mit den börsennotierten Gesellschaften richtet der Kodex sich jedoch primär an eine in puncto Rechtsform und Strukturen relativ homogene Gruppe von Unternehmen. Familienunternehmen, d. h. unter dem bestimmenden Einfluss einer oder mehrerer Familien stehende Unternehmen, existieren hingegen in allen erdenklichen Rechts- und Finanzierungsformen sowie den unterschiedlichsten Größenordnungen.
Auch die Anzahl der Anteilseigner kann erheblich variieren. Zudem sind die Themen des DCGK für Familienunternehmen nur eingeschränkt relevant. Im Bereich der Publikumsgesellschaften soll in erster Linie sichergestellt werden, dass angestellte Manager verantwortungsvoll mit dem Vermögen der Anteilseigner umgehen. Aufgrund der Konzentration sämtlicher oder zumindest eines wesentlichen Teils der Anteile in Familienhand können die Anteilseigner in Familienunternehmen die Unternehmensleitung jedoch selbst besetzen und haben einen direkteren Zugriff auf Informationen und Personen. So setzt sich im Konfliktfall die Familie regelmäßig gegen das (Fremd-)Management durch. Die Ebene der Eigner ist der Unternehmensleitung faktisch übergeordnet, woraus sich spezifische Governance Problemstellungen ergeben.
Der Governance Kodex für Familienunternehmen setzt an dieser Stelle an und legt den Fokus auf das Zusammenspiel von Unternehmerfamilie und Unternehmen. Zielsetzung ist es laut der Präambel, eine professionelle Einflussnahme der Familie sicherzustellen und diese als tragende Säule sinnvoll in die Governance des Unternehmens einzubinden. Der Kodex widmet sich u. a. den Themen Werte und Ziele der Familie, Rolle der Gesellschafter als Einzelne und in ihrer Gesamtheit, Unternehmensleitung und Aufsichtsgremium, Ergebnisermittlung und -verwendung, Anteilsübertragung und Kündigungsrechte sowie Family Governance, welche darauf abzielt, den Zusammenhalt und die Identifikation der Unternehmerfamilie mit ihrem Unternehmen langfristig zu festigen.
Kritiker führen an, die beschriebene Vielgestaltigkeit der Familienunternehmen stünde einem Einheitskodex von vornherein entgegen. Ein Kodex würde Familienunternehmen vielmehr ihrer Flexibilität und damit einer ihrer maßgeblichen Stärken berauben. Jedoch spricht der Kodex nur bedingt konkrete Anweisungen in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung einzelner Governance Regelungen aus, sondern beschränkt sich sinnvollerweise weitestgehend darauf, die für Unternehmerfamilien relevanten Themen zu benennen und den Familien Anregungen zur Ausgestaltung ihrer Governance an die Hand zu geben. Die Kritik verkennt also, dass es gerade nicht darum geht, individuellen Lösungen vorzugreifen.
Teilweise wird weiter vorgebracht, der Kodex verliere sich in Selbstverständlichkeiten und lasse praxistaugliche Empfehlungen vermissen. Dem ist wiederum zu entgegnen, dass der beschriebene Charakter als eine Art Checklist unter Bewahrung der notwendigen Freiräume für unternehmens- und familienspezifische Lösungen naturgemäß mit einer gewissen Allgemeingültigkeit der Formulierungen verbunden ist. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass eine derartige Initiative den Gesetzgeber auf den Plan rufen könne und weitere Bürokratie zu befürchten stehe. Schon vor dem Hintergrund der Rechtsformvielfalt der Familienunternehmen und damit einher gehenden Abgrenzungsschwierigkeiten ist ein Regelwerk ähnlich dem DCGK verbunden mit einer Pflicht zur Abgabe einer Entsprechungserklärung für Familienunternehmen kaum denkbar und nicht ernstlich zu erwarten.
Zuzugeben ist den Kritikern, dass die vielfältigen Anlehnungen an den DCGK sich irreführend auswirken können und das Unternehmensumfeld daher geneigt sein könnte, den Kodex nicht als das zu verstehen was er ist – eine aus rein privater Initiative entstandene, bloße Hilfestellung für Familienunternehmen und ihre Berater.
Dennoch sollte der Kodex als Chance gesehen werden, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, da er eine Grundlage für die Überprüfung und Überarbeitung der Governance Strukturen bietet. Tatsächlich ist es der Kommission gelungen, die für Familienunternehmen maßgeblichen Fragestellungen zu benennen und mögliche Ansätze für ihre Lösung bereitzustellen. Insbesondere hebt der Kodex richtigerweise die entscheidende Bedeutung der Unternehmerfamilie hervor. Sofern die unternehmensindividuelle Governance mit Hilfe des Kodex ausgestaltet wurde, kann – eine entsprechende Kommunikation vorausgesetzt – davon zudem eine positive Signalwirkung gegenüber dem Unternehmensumfeld ausgehen.