Das vollständige Flugverbot für Verkehrspiloten über das vollendete 60. Lebensjahr hinaus ist eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gab in seinem Urteil vom 13. 9. 2011 (Az. Rs. C-447/09, DB0458798) der Klage von drei Piloten gegen eine entsprechende Regelung im Tarifvertrag für das Cockpitpersonal der Deutschen Lufthansa AG statt. Der Tarifvertrag ging hier weiter als die gesetzliche deutsche und internationale Regelung (LuftVZO i. V. mit IAR-FCL), die im Alter von 60 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nur eine Einschränkung vorsah.
Der ältere Pilot muss lediglich in einer Crew aus mehreren Piloten fliegen, die das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Das legitime Ziel, die Sicherheit des Flugverkehrs zu gewährleisten, rechtfertige zwar eine Altersgrenze und damit Ungleichbehandlung in einer nationalen Regelung ebenso wie in einem Tarifvertrag. Da aber den Risiken durch die gesetzlichen Einschränkung Rechnung getragen werde, war die tariflich weitergehende Beschränkung nicht notwendig.
Richtungsweisende Wirkung hat das Urteil auch über den Lufthansa-Tarifvertrag hinaus. Altersbeschränkungen für andere Berufsgruppen sind Gegenstand von Tarifverträgen und gesetzlicher Regelungen und gehören auf den Prüfstand. In jedem Einzelfall wird zu prüfen sein, ob eine Zwangsverrentung nicht als altersdiskriminierend zu werten ist. Generell bestätigt der EuGH, dass Altersgrenzen durchaus mit EU-Recht vereinbar sein können. Im Einzelfall kommt es aber auf die Verhältnismäßigkeit der Grenze an. Pauschalurteile wären hier nicht angebracht. Kann vor dieser Argumentation die feste gesetzliche Altersgrenze überhaupt noch sachlich gerechtfertigt sein, oder müsste vielmehr die Altersgrenze am individuellen Beruf ausgerichtet werden?
Umdenken ist angesagt
Die genaue Prüfung von Altersgrenzen in Gesetzen, Tarifverträgen und Arbeitsverträgen durch die deutschen Gerichte wird seit Inkrafttreten der EU Richtlinie 2000/78/EG vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14. 8. 2006 Alltag werden. Dies verdeutlichen folgende Grundsatzurteile des EuGH:
- Mangold (EuGH-Urteil vom 22. 11. 2005 – Rs. C-144/04, DB 2005 S. 2638): Die unbeschränkte Befristung für Ältere ab dem 58. Lebensjahr nach § 14 Abs. 3 TzBfG ist Altersdiskriminierung; es folgte zum 1. 5. 2007 eine gesetzliche Nachbesserung.
- Kücükdeveci (EuGH–Urteil vom 19. 1. 2010 – Rs. C-555/07, DB 2010 S. 228) Die Berechnung der Dienstjahre zur Ermittlung der Kündigungsfristen erst ab dem 25. Lebensjahr nach § 622 Abs. 2 BGB ist europarechtswidrig, da sie die Jüngeren diskriminiert.
- Age Concern (EuGH-Urteil vom 5. 3. 2009 – Rs. C-388/07): Die gesetzliche Altersgrenze und das automatische Ausscheiden mit 65 Jahren in England ist zulässig, wenn sozialpolitisch zulässige Ziele verfolgt werden.
- Palacios de la Villa (EuGH Urteil vom 16. 10. 2007 – Rs. C-411/05, DB 2007 S. 2427) Mitgliedstaaten und Sozialpartner haben einen weiten Spielraum bei der Festlegung von Arbeits- und sozialpolitischen Zielen, die eine Beschränkung in einem gewissen Lebensalter vorsehen. Allerdings müssen die Maßnahmen angemessen und erforderlich sein, um die beschäftigungspolitischen legitimen Ziele zu erreichen.
- Andersen (EuGH-Urteil vom. 12. 10. 2010 – Rs. C-499/08, DB0390666) Der Ausschluss eines sich arbeitslos meldenden und arbeitswilligen Arbeitnehmers von einer gesetzlich vorgesehenen Entlassungsentschädigung wegen des möglichen Bezugs von Betriebsrente ist Altersdiskriminierung, wenn nicht differenziert wird, ob der Arbeitnehmer nun wirklich Rente beziehen will oder nicht.
- Rosenbladt (EuGH-Urteil vom 12. 10. 2010 – Rs. C-45/09, DB 2010 S. 2339) Eine tarifliche automatische Beendigung wegen Alters kann bei Verfolgung eines legitimen beschäftigungspolitischen Ziels gerechtfertigt sein, obwohl eine Altersrentenleistung nicht zum Lebensunterhalt ausreichte und die Klägerin weiter arbeiten wollte.
- Petersen (EuGH-Urteil vom 12. 1. 2010 – Rs. C-341/08, DB0345218) Das Höchstalter von 68 Jahren für praktizierende Ärzte wäre mit der Begründung des Ausgleichs der Berufschancen in den Generationen an sich rechtfertigungsfähig; die Beschränkung auf Kassenärzte war jedoch diskriminierend.
- Die Altersgrenze von 68 für Hochschulprofessoren in Bulgarien in der Sache Georgiev (EuGH-Urteil vom 18. 11. 2010 – Rs. C-250/09) wurde wegen des Ziels der Verteilung der Professorenstellen auf die Generationen als Rechtfertigung anerkannt.
Zukünftig werden die Normgeber genau bewerten müssen, ob eine Altersgrenze wirklich sachlich gerechtfertigt ist und dies auch niederlegen. Ob gesetzliche feste Altersgrenzen unabhängig vom jeweiligen Beruf diesem Maßstab standhalten werden, ist insbesondere vor der Diskussion der pauschalen Erhöhung des Rentenalters auf 69 zu bezweifeln.