Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundesrates hat vor einigen Tagen angeregt, das ESUG an den Vermittlungsausschuss zu überweisen, und zwar aus drei Gründen: Zum einen müsse die Restschuldbefreiung (deren Neuregelung im Übrigen gar nicht Gegenstand des ESUG ist) in 174 Abs. 2, 302 Nr. 1 InsO auch hinsichtlich Verbindlichkeiten aus einer (vorsätzlichen) Steuerhinterziehung versagt werden. Weiter sollen Steuerforderungen in § 225a Abs. 2 Satz 1 InsO kraft Gesetzes von der Möglichkeit einer Beteiligung an einem Debt-Equity-Swap ausgeschlossen werden. Schließlich seien die im RegE-ESUG statuierten Anforderungen an die Qualifikation des Insolvenzrichters (§ 22 Abs. 6 GVG-E) mit dem dem Deutschen Richtergesetz zugrunde liegenden Bild des Einheitsjuristen nicht vereinbar.
1. Was zunächst die Erstreckung der Versagungstatbestände bei der Restschuldbefreiung auf die (vorsätzliche) Steuerhinterziehung angeht, wird übersehen, dass die Steuerhinterziehung den anderen dort genannten Sachverhalten zwar qualitativ, nicht aber in der hier entscheidenden verfahrensrechtlichen Perspektive gleicht. Denn Steuerverbindlichkeiten – auch solche wegen Steuerhinterziehung – können durch einfachen Verwaltungsakt in Form eines Steuerbescheides begründet werden, ohne dass irgendeine gerichtliche Nachprüfung der „Steuer-Behauptung“ und insbesondere der darin liegenden „Vorsatz-Behauptung“ seitens der Finanzverwaltung stattgefunden hätte. Da die Behauptung einer Steuerhinterziehung zugleich die Verjährungsfrist verdoppelt und für ältere Verbindlichkeiten naturgemäß ein längerer Zinslauf Platz greift, kann damit auf einfachem Wege eine Vervielfachung des Anspruchs erreicht werden (bei gleichem jährlichen „Steuerhinterziehungsvolumen“ knapp eine Verdreifachung gegenüber dem normalen – bislang noch nicht einmal berücksichtigbaren [! ] – Steueranspruch). Im Ergebnis werden daher hier ungleichartige Sachverhalte gleich behandelt.
Völlig zu Recht hat das Insolvenzrecht daher an vielen Stellen die Gleichwertigkeit von allein durch Bescheid begründeten Forderungen mit anderen Forderungen verneint. Will man gleichwohl ein solches neues „Fiskusvorrecht durch die Hintertür“ schaffen, müssten verfahrensmäßige Vorkehrungen getroffen werden, um einer missbräuchlichen Geltendmachung von allein durch Bescheid begründeten Steuerforderungen wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung zu begegnen. Das könnte dergestalt geschehen, dass solche Forderungen nur dann im Rahmen von § 302 Nr. 1 InsO relevant sind, wenn sie Gegenstand gerichtlicher Überprüfung waren (etwa in Form eines gescheiterten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung) oder gar erst, wenn sie bestands- bzw. rechtskräftig festgestellt sind).
2. Nicht überzeugend ist es auch, wenn die Beschlussempfehlung Steuerforderungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts schon kraft Gesetzes (durch Erklärung wäre das ohnehin möglich gewesen) von der Möglichkeit eines Debt-Equity-Swap ausschließen will. Vor allem überzeugt die Begründung nicht, dass dadurch schon „im Ansatz“ „jeglicher Verwaltungsaufwand auf Ebene der Länder und Gemeinden“ ausgeschlossen würde.
Denn dabei wird übersehen, dass die dem Fiskus unter Umständen zufallenden Mitgliedschaften keineswegs selbst verwaltet werden müssten, sondern ebenso gut veräußert werden könnten – ja typischerweise sogar sollten. Andererseits ist es fraglich, ob Forderungen, die nicht umgewandelt werden, an den aus der Fortführung eines Unternehmens mit Hilfe anderer Gläubiger erwirtschafteten Erträgen beteiligt werden können – und dürfen. Verneint man dies, stünde der Fiskus nicht etwa besser, sondern sogar schlechter da als bei Beteiligung an einem Debt-Equity-Swap, zumal er auch diese Forderungen „verwalten“ müsste.
Überzeugender – und zwar im Interesse des Fiskus (!) – wäre daher eine Klarstellung, dass bei einem Debt-Equity-Swap dem Fiskus zufallende Mitgliedschaftsrechte durch Veräußerung verwertet werden dürfen – und die Beseitigung von etwa bestehenden Hemmnissen, die einer derartigen Verwertung im Wege stehen könnten.
3. Was schließlich die Kritik an den Qualifikationsanforderungen des ESUG für Insolvenzrichter angeht, ist es fernliegend, hierin eine Abkehr vom „Modell des Einheitsjuristen“ zu sehen, die nur im Deutschen Richtergesetz erfolgen könne. Auch stellt die Qualitätsanforderung keinen „gravierenden Bruch mit der geltenden Ausbildungskonzeption“ dar, wie die Begründung der Beschlussempfehlung des Deutschen Bundesrates dies meint.
Vielmehr geht es um etwas ganz anderes: Insolvenzrecht ist (Zwangs-)Vollstreckungsrecht, und wie auch sonst bei Vollstreckungsmaßnahmen haben Maßnahmen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens häufig irreversible Wirkungen – in Form des „Todes“ eines Unternehmens oder des Verlustes von Tausenden von Arbeitsplätzen. Solche weit reichenden Entscheidungen legt die Gerichtsverfassung aber auch sonst nicht in die Hände eines einzelnen Richters oder schließt Rechtsmittel dagegen aus (was hier aufgrund der Eilbedürftigkeit des Insolvenzverfahrens faktisch der Fall ist). Es geht mithin sehr wohl um eine Frage der Gerichtsverfassung, was auch daran deutlich wird, dass die Überwachung von (Unternehmens-) Insolvenzverfahren in vielen Ländern in die Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen fällt (was automatisch eine höhere Sachkunde der befassten Richter mit sich bringt). Die vom ESUG in der vom Bundestag beschlossenen Fassung aufgestellten Qualitätsanforderungen (die übrigens in der Sache auf die von den Ländern [!] eingesetzte „Uhlenbruck-Kommission“ zurückgehen, stellen mithin das funktionale Äquivalent zu der in anderen Rechtsbereichen (bis hin zum Schwurgericht) üblichen Zuweisung von Verfahren an mehrköpfige Spruchkörper dar, deren Notwendigkeit bislang nicht in Frage gestellt wurde. Daher käme statt des Aufstellens von Qualifikationsanforderungen auch in Betracht, die Abwicklung von Unternehmensinsolvenzen unter die Aufsicht eines mehrköpfigen Spruchkörpers (etwa: der Kammer von Handelssachen oder einer neu zu schaffenden „Kammer“ beim Amtsgericht) zu stellen.
Abgesehen davon ist aber auch der Einwand nicht zutreffend, Materien wie das Handels- und Gesellschaftsrecht und das Insolvenzrecht gehörten schon jetzt zu den allen Juristen vermittelten Grundkenntnissen der Juristenausbildung und es fehlten belegbare Nachweise für entsprechende Defizite in der Ausbildung. Ein Blick in die Justizausbildungsgesetze (der Länder!) verhilft hier zur Aufklärung: Denn dabei wird sehr schnell deutlich, dass etwa im Gesellschaftsrecht auch heute noch eine Fokussierung auf das Recht der Personengesellschaft an der Tagesordnung ist und das – gerade für Insolvenzverfahren im Mittelpunkt stehende – Recht der Kapitalgesellschaften allenfalls in Grundzügen gelehrt wird. Ebenso spielt das Recht der Rechnungslegung keine Rolle, und zwar bemerkenswerterweise heute noch weniger als etwa noch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts (iudex non calculat …).