In zwei lang erwarteten Urteilen hat der BGH am 27. 9. 2011 – XI 182/10, DB 2011 S. 2649 und XI ZR 178/10, DB 0459112 über die Klagen zweier Bankkunden entschieden, die als „Zertifikate“ bezeichnete Anleihen der inzwischen insolventen Lehman Brothers Treasury Co. B.V. (nachfolgend nur „Emittentin“) im Zweiterwerb von ihrer Bank erworben hatten. Die Rückzahlung sollte in Abhängigkeit von der Entwicklung eines virtuellen Aktienkorbes erfolgen. Im ungünstigsten „Normalfall“ wäre lediglich das eingesetzte Kapital zurückbezahlt worden. Nach der Insolvenz der Emittentin waren die Anleihen weitestgehend wertlos. Die Kläger behaupteten, die Bank habe ihre Aufklärungspflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt und machten Schadensersatz geltend. Das LG hatte den Klägern zunächst Recht gegeben, in der Berufung vor dem OLG Hamburg unterlagen sie jedoch. Der BGH wies die Revisionen der Kläger als unbegründet zurück. Zusammengefasst führte er folgende Gründe an:
Die Bank sei zur anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet. Maßgeblich seien der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden sowie die allgemeinen und speziellen Risiken, die sich aus dem Anlageobjekt ergäben. Die Prüfung der Bonität der Emittentin habe mit kritischem Sachverstand zu erfolgen. Die Bewertung und Empfehlung des Anlageobjektes müsse aus ex-ante-Sicht vertretbar gewesen sein. Das sei hier gegeben, da seinerzeit keine Hinweise auf ein konkretes Insolvenzrisiko bestanden. Das Risiko, dass sich eine korrekte Beratung im Nachhinein als falsch erweist, trage aber der Anleger.
Die Kläger wussten, dass mit dem eingesetzten Kapital kein vom sonstigen Vermögen der Emittentin getrenntes Sondervermögen gebildet wurde. Hierüber müsse ebenfalls aufgeklärt werden: Selbst wenn einem Anleger allgemein bewusst sei, dass Emittenten zahlungsunfähig werden können, bedeute dies nicht, dass er sich auch des besonderen Risikos mangels Bildung eines Sondervermögens bewusst sei.
Es bedurfte keines Hinweises auf ein fehlendes Einlagensicherungssystem (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 EAEG). Wisse der Kunde um die Möglichkeit des Totalverlustes aufgrund einer Insolvenz, könne er nicht gleichzeitig auf das Eingreifen einer Einlagensicherung vertrauen.
Eine Bank sei grundsätzlich nicht verpflichtet, darüber aufzuklären, dass sie mit eigenen oder mit fremden Produkten im Wege des Eigengeschäfts Gewinne erwirtschaftet. Dies sei offensichtlich. Die Aufklärungspflicht über Innenprovisionen komme nicht zum Tragen, da die Zahlung eines geringeren Preises beim Ersterwerb keine Innenprovision darstelle. Gleiches gelte in Bezug auf aufklärungspflichtige Rückvergütungen, die ein – bei Eigengeschäften nicht gegebenes – Drei-Personen-Verhältnis voraussetzen.
Schließlich gebe es keine Pflicht, über den „Wett- bzw. Optionscharakter“ des Zertifikates aufzuklären. Die Funktionsweise des Zertifikates wurden den Anlegern umfassend erläutet. Dass bei einem derart strukturierten Produkt die Erwartungen der Emittentin auf der einen und des Anlegers auf der anderen Seite gegenläufig sind, sei i. Ü. für jeden Anleger offensichtlich.
Die Urteile sind für Betroffene, die gehofft hatten, auf dem Rechtsweg wieder an das verlorene Geld heranzukommen, sicher enttäuschend. Indes sind die Entscheidungen zu begrüßen: Wurde der Anleger entsprechend seinem Anlegerhorizont ausreichend aufgeklärt, muss es auch beim Grundsatz bleiben, dass er, wenn er mit Aussicht auf einen entsprechenden Gewinn ein höheres Risiko eingeht, dieses im Falle der Realisierung selbst zu tragen hat. Erweiterte Informations- und Aufklärungspflichten helfen jedenfalls nicht weiter, denn es ist schon jetzt zweifelhaft, ob der Umfang und die Intensität der bestehenden Pflichten die bezweckte Transparenz noch gewährleisten.