Bei der Gründung einer Aktiengesellschaft oder bei einer späteren Kapitalerhöhung können Aktionäre ihre Einlageverpflichtungen in bar oder in Form von Sachwerten erbringen. Bei Sacheinlagen kann es allerdings sein, dass der als Sacheinlage eingebrachte Vermögensgegenstand nicht den dafür angegebenen Wert erreicht. In einem solchen Fall haftet der Aktionär auf die Wertdifferenz, wenn der Wert der Sacheinlage nicht unwesentlich hinter dem Ausgabebetrag der ausgegebenen Aktien zurückbleibt. Diesbezüglich hat der BGH mit Urteil vom 15. 11. 2011 (II ZR 149/10) entschieden, dass eine Aktiengesellschaft mit ihrem Aktionär über den Anspruch der Aktiengesellschaft auf Zahlung der Wertdifferenz zwischen der bei einer Sachkapitalerhöhung übernommenen Einlageverpflichtung und dem tatsächlichen Wert der zur Erfüllung erbrachten Sachleistung (Differenzhaftung) einen Vergleich schließen kann.
Im Urteil des BGH ging es um eine im Jahre 1999 aufgrund eines Transaktionsvertrages durch-geführte Sachkapitalerhöhung der Babcock Borsig AG, bei der die Preussag AG Geschäftsanteile an zwei Tochtergesellschaften sowie Aktien der Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) als Sacheinlage im Gegenzug für ca. 3,5 Millionen Aktien an der Babcock Borsig AG einbrachte (1. Tranche). Die Babcock Borsig AG verpflichtete sich, weitere Aktien der HDW für 325 Mio. DM von der Preussag AG zu erwerben (2. Tranche). Nachdem sie jedoch den Kaufpreis für die 2. Tranche nicht zahlte, vereinbarten die Parteien, dass die Preussag AG der Babcock Borsig AG zum Zwecke der Begleichung des Kaufpreises für die 2. Tranche einen Ertragszuschuss gewähren sollte. Im Gegenzug erklärte sich die Babcock Borsig AG bereit, aus dem Transaktionsvertrag keinerlei Rechte mehr geltend zu machen. Der für die 2. Tranche geschuldete Kaufpreis sollte mit dem von der Preussag AG geschuldeten Ertragszuschuss verrechnet werden. Der Insolvenzverwalter der Babcock Borsig AG behauptete später, der Wert der von der Preussag AG erbrachten Sacheinlage habe die Höhe des festgesetzten Ausgabebetrags nicht erreicht und verklagte die Preussag AG auf Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von ca. € 170 Mio.
Wenngleich § 66 Abs. 1 Satz 1 AktG bestimmt, dass Aktionäre nicht von ihrer Einlagepflicht befreit werden können, bestätigte der BGH die vom OLG Frankfurt a.M. vertretene Ansicht, wonach ein Vergleich zwischen Aktionär und Gesellschaft über einen sich aus einer Überbewertung von Sacheinlagen ergebenden Differenzhaftungsanspruch zumindest dann zulässig ist, wenn eine tatsächliche oder rechtliche Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs besteht.
Ebenso wurde entschieden, dass nach der Kompetenzordnung des AktG der Vorstand für den Abschluss des Vergleichs zuständig ist. Einer Zustimmung der Hauptversammlung bedurfte es nicht. Der BGH hat insbesondere klargestellt, dass eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung auch nicht aufgrund der sog. „Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung“ bestand.
Der BGH hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass eine Aufrechnung gegen die Einlageforderung der Babcock nicht ohne weiteres möglich sei. Nach Auffassung des BGH gilt das aktienrechtliche Verbot der Aufrechnung gegen die Einlageforderung der Gesellschaft (§ 66 Abs. 1 Satz 2 AktG) für eine in einem Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch vereinbarte Forderung der Gesellschaft gegen den Aktionär – im konkreten Fall der von der Preussag AG geschuldete Ertragszuschuss – fort. Aus diesem Grunde komme eine Aufrechnung nur dann in Betracht, wenn die Gesellschaft dazu berechtigt wäre. Dies setze voraus, dass die Forderung gegen die Gesellschaft vollwertig, fällig und liquide sei.
Aufgrund der Entscheidung besteht nunmehr Klarheit, dass ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch zulässig ist. Allerdings sollten Vorstände – nicht zuletzt wegen der drohenden persönlichen Haftung – besonders auf eine sorgfältige Dokumentation achten, aus der hervorgeht, dass Ungewissheit über Bestand oder Umfang des Differenzhaftungsanspruchs bestand.