Grenzen der kartellrechtlichen Bußgeldhaftung bei Verschmelzung von Unternehmen

Philipp Werner, Partner, McDermott Will & Emery

Philipp Werner, Partner, McDermott Will & Emery

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem im August 2011 ergangenen Beschluss (KRB 55/10 – HDI-Gerling = DB0462305) die Grenzen der Bußgeldhaftung nach deutschem Kartellrecht bei der Verschmelzung von Unternehmen aufgezeigt.

Nach §§ 81f. GWB i.V. mit  § 30 OWiG kann das Bundeskartellamt (BKartA) Geldbußen gegen Unternehmen verhängen, deren Organe oder leitende Mitarbeiter einen Kartellrechtsverstoß begangen haben. Ist das Unternehmen erloschen, etwa durch Verschmelzung des Unternehmens mit einem anderen Unternehmen, haftet der Gesamtrechtsnachfolger nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn „zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu Identität besteht.“ Dies entspricht ständiger Rechtsprechung. Identität besteht etwa bei bloßer Änderung der Firma oder Wechsel der Rechtsform. Eine weitergehende Haftung scheitert nach BGH am Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, da der Wortlaut von § 30 Abs. 1 OWiG die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen wegen einer Organtat nur bei Identität des Rechtsträgers erlaubt.

Hintergrund des Beschlusses ist ein im Jahr 2005 verhängtes Bußgeld i.H. von 19 Mio. Euro gegen GKA, den damaligen Industrieversicherer des Gerling Konzerns. Nach Erlass des Bußgeldbescheids wurde GKA auf die HDI – Gerling Industrie Versicherung AG (HDI-Gerling) verschmolzen, in die auch der ehemalige HDI-Geschäftsbereich Industrieversicherungen eingebracht wurde. Der Anteil des ehemaligen GKA-Vermögens an der verschmolzenen Gesellschaft betrug nur noch 28% bezogen auf die Zahl der Versicherungsverträge, 42% bezogen auf die Bruttobeitragseinnahmen und 56% bezogen auf den Wert der Kapitalanlagen. Der Gesamtrechtsnachfolger HDI-Gerling ist nicht identisch oder nahezu identisch mit dem erloschenen Rechtsträger GKA. Eine Identität liegt nach dem BGH nicht vor, wenn „Unternehmen mit annähernd gleicher Größe und fast identischen Marktanteilen fusioniert und deren Geschäftsbereiche zusammengeführt werden.“

In Deutschland besteht daher grundsätzlich die Möglichkeit für Unternehmen, einer Kartellbuße durch eine konzerninterne Umstrukturierung nach Verhängung des Bußgeldes zu entgehen. Dies liegt daran, dass eine wirtschaftliche Identität nicht durch Zurechnung von Vermögensgegenständen konzernverbundener Unternehmen begründet werden kann. Der BGH schließt eine bußgeldrechtliche Konzernhaftung nach geltendem Recht ausdrücklich aus. Die Rechtslage in Deutschland unterscheidet sich damit von der Rechtslage nach EU-Kartellrecht. Aufgrund der weiten Auslegung des Unternehmensbegriffes sowie der gesamtschuldnerischen Haftung der Konzernmutter sind dort kaum Grenzen bei der Verhängung von Kartellbußgeldern gegen den Konzern als solchen gesetzt.

Der BGH ist sich dieser „misslichen Konsequenzen“ bewusst, verweist aber insoweit auf den Gesetzgeber, der alleine eine „weitergehende Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung von Rechtsnachfolgern in Fällen der vorliegenden Art (…) vornehmen“ kann und auch die Grenzen einer solchen Erstreckung festzulegen hätte. In diesem Sinne fordert auch das BKartA, dass die „Schlupflöcher für Kartellsünder“ geschlossen werden müssen. Es ist nach Verlautbarungen der zuständigen Bundesministerien zu erwarten, dass das Thema Eingang in die derzeit diskutierte 8. GWB-Novelle findet.

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