Geänderte Anforderungen an Wertpapierprospekte

RA Dr. Oliver Seiler, Partner, Allen & Overy LLP, Frankfurt/M.

Zum 1. 7.  2012 soll die Änderungsrichtlinie (RL 2010/73/EU) zur EU-Prospektrichtlinie (RL 2003/71/EG) in deutsches Recht umgesetzt werden. Seit dem 30. 11. 2012 liegt ein entsprechender RegE vor. Am 1. 3. 2012 wurde das Gesetz in erster Lesung im Bundestag beraten. Es sieht insbesondere Änderungen des WpPG vor und strebt ausweislich der Gesetzesbegründung eine „eins-zu-eins“-Umsetzung der Änderungsrichtlinie an. Ziel ist es, Emittenten von unnötigem bürokratischem Aufwand zu entlasten, die Effizienz und Klarheit einzelner Regelungen zu erhöhen und den Anlegerschutz zu verbessern. Aus Sicht der Praxis dürfte dies weitgehend gelingen. Der folgende Beitrag weist auf verbleibende Unklarheiten hin, die sich im Zusammenhang mit der Anwendung des geänderten WpPG ergeben könnten.

So sieht der Gesetzentwurf in § 2 Nr. 6 WpPG n. F. eine Änderung der Definition des qualifizierten Anlegers vor. Ziel ist die Angleichung an den Begriff des „professionellen Kunden“ i. S. der RL über Märkte für Finanzinstrumente (MiFiD). Ausweislich des Erwägungsgrunds 7 der Änderungsrichtlinie soll es damit dem Anbieter ermöglicht werden, auf die entsprechende Kriterienliste in Anhang II Nr. 1 bis 4 der MiFiD zurückzugreifen. Der Gesetzentwurf zu § 2 Nr. 6 WpPG n. F. erfasst demgegenüber nur Personen, die als professionelle Kunden (i. S. der MiFiD) angesehen werden können, sofern diese keine Behandlung als Privatkunden beantragt haben. Die Einschränkung führt in der Praxis dazu, dass sich Anbieter – unter erheblichem Aufwand – bei anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen erkundigen müssen, ob der betreffende Anleger eine Einstufung als Privatkunde beantragt hat, bevor sie rechtssicher ein (prospektfreies) Angebot ausschließlich an qualifizierte Anleger richten können.

In § 23 Absatz 2 Nr. 5 WpPG n. F. sieht der Gesetzentwurf eine besondere Haftungssanktion für fehlende Schlüsselinformationen in der Zusammenfassung vor. Der Begriff der Schlüsselinformation schließt nach § 5 Abs. 2a WpPG n. F. eine Kurzbeschreibung der Risiken und wesentlichen Merkmale in Bezug auf den Emittenten, einen etwaigen Garantiegeber sowie die angebotenen Wertpapiere ein. In der Praxis könnte die Abgrenzung, wann eine Information als „wesentlich“ i. S. des Schlüsselinformationsbegriffs anzusehen ist, Schwierigkeiten bereiten. Der natürlichen Tendenz, die Zusammenfassung im Interesse einer Haftungsvermeidung entsprechend auszudehnen, dürfte jedoch die von der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA vorgeschlagene Begrenzung der Gesamtlänge (höchstens 7 Prozent der Gesamtlänge des Prospekts oder 15 Seiten) sowie das neue Modulsystem für die Zusammenfassung entgegenstehen. Wie diese Vorschläge von der für delegierte Rechtsakte zuständigen EU-Kommission (aller Voraussicht nach in Form einer überarbeiteten Prospektverordnung) umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

In einzelnen Fällen schwer zu fassen ist die in § 36 Abs. 2 WpPG n. F. vorgesehene Übergangsregelung. Danach legt die BaFin für Prospekte, deren Billigung vor dem 1. 7.  2012 beantragt wird und über deren Billigung die BaFin am 1. 7.  2012 noch nicht abschließend entschieden hat, die alte Rechtslage zugrunde. Im Übrigen sollen sich alle Pflichten aus dem WpPG ab Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes nach neuem Recht richten. Damit scheint die Übergangsregelung jedoch zunächst nur die Konstellationen zu erfassen, in denen überhaupt ein Prospekt zu veröffentlichen und daher ein Antrag auf Billigung zu stellen ist. Nicht ausdrücklich geregelt ist hingegen die zeitliche Abgrenzung bei (neuerdings) prospektfreien Angeboten (z. B. Angeboten an weniger als 150 nicht qualifizierte Anleger) sowie bei (neuerdings) prospektpflichtigen Angeboten. So stellt sich etwa bei Angeboten, die ab dem 1. 7.  2012 prospektfrei erfolgen können – mangels Erfordernis, einen Billigungsantrag zu stellen – die Frage, in welchem Stadium sich die betreffende Transaktion am 1. 7.  2012 befinden muss, um von der neuen Rechtslage Gebrauch machen zu können.

Aus Sicht der Praxis führen diese verbleibenden Unwägbarkeiten dazu, dass man in den kommenden Monaten Verfahren, die in den Anwendungsbereich des WpPG fallen, in besonders enger Abstimmung mit der BaFin durchführen sollte. Im Interesse größtmöglicher Rechtssicherheit empfiehlt sich insbesondere, die Frage nach der Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts jeweils frühzeitig mit der BaFin abzuklären.

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