Indien weicht Patentschutz auf – Indisches Patentamt erteilt erste Pharma- Zwangslizenz!

RA Alexander Harguth, Partner, McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP, München

Das indische Patentamt räumte dem Generikahersteller Natco Pharma Ltd. die Befugnis ein, das Medikament Nexavar der Firma Bayer in Indien herzustellen und zu verkaufen. Nexavar, das gegen Leber- und Nierenkrebs eingesetzt wird, wird durch ein Patent von Bayer geschützt. Bayer kann den Vertrieb des Krebs-Medikaments durch den Generikahersteller in Indien nun nicht mehr verhindern.

Dieses Novum in der Geschichte des indischen Patentrechts hat daher nicht nur in der deutschen Pharmabranche für großes Aufsehen gesorgt. Noch lassen sich die Auswirkungen der Entscheidung nicht absehen. Die Frage ist, ob es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt oder ob sich Generikahersteller nun generell durch staatlich oktroyierte Zwangslizenzen dem Patentschutz großer Pharmaunternehmen entziehen können? Pfizer könnte mit seinem HIV-Medikament Maraviroc das nächste Angriffsziel von Generikaherstellern sein.

Zwangslizenzen sind hoheitliche Eingriffe in Patente. Damit kann einem Lizenzsucher die Benutzung eines Patentes (staatlich) gestatten werden, gerade wenn die Zustimmung des Inhabers fehlt. Selbst das deutsche Patentrecht kennt diesen hoheitlichen Zugriffsmechanismus, der allerdings nur ausnahmsweise zur Wahrung öffentlicher Interessen eingreift. Die deutsche Rechtsprechung geht daher auch äußerst zurückhaltend damit um. In der Vergangenheit wurden deshalb nur sehr selten Zwangslizenzen vergeben. Wohl zurecht! Der Zugriff soll das grundlegende Belohnungsprinzip nicht in Frage stellen. Der Erfinder, der in die Entwicklung investiert hat und seine Erfindung der Öffentlichkeit mitteilt, wird durch ein exklusives Verwertungsrecht entlohnt. Die Investition muss aus seiner Sicht sinnvoll sein, sodass er zur Förderung des technischen Fortschritts motiviert wird.

Patentierte Medikamente, die nach erfolgreichen Zulassungsverfahren auf den Markt gelangen, sind mit erheblichen Investitionen verbunden. Vor der Anmeldung des Patents steht oft ein kostspieliger Entwicklungsprozess. Bis zur Markteinführung vergehen wegen notwendiger Zulassungsverfahren viele Jahre. Die Pharmabranche nimmt gegenüber anderen Technologiezweigen eine Ausnahmestellung ein. Laut Statistik fließen etwa drei Viertel der Kosten in fehlgeschlagene Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Letztlich werden und müssen diese Kosten auf den Konsumenten der Medikamente abgewälzt werden. Wäre das nicht möglich, könnten Wirtschaftsunternehmen wie Bayer nicht existieren. Die fehlende oder nur unzulängliche Möglichkeit, die Investitionen zu refinanzieren, würde auf lange Sicht den technischen Fortschritt hemmen. Investoren blieben aus und ein wesentlicher Antrieb für innovative Medikamente würde wegfallen. Auf lange Sicht resultieren daraus negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Der Belohungsgedanke, der durch das Patent implementiert ist, wird grundsätzlich auch im internationalen Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) geschützt, an das Indien wie viele andere Staaten der WTO gebunden ist.

Verständlicherweise stößt der so konzipierte Belohungsmechanismus des Patentrechts auf Widerstand, wenn es um Missstände im Gesundheitswesen einzelner Staaten geht. Dies ist auch der Fall, wenn Ärzte mit der Situation konfrontiert werden, dass ihre Patienten keinen Zugang zu bestimmten Medikamenten haben. Die bisher heftigste Auseinandersetzung fand über Aids-Medikamente für Afrika statt, die im November 2001 zu der sog. Doha Erklärung geführt hat und deren Grundgedanke sich in späteren Beschlüssen der Welthandelsorganisation (WTO) wiederfindet. Dabei handelt es sich um eine erläuternde Stellungnahme der WTO Mitglieder, die darauf hinweist, dass das TRIPS-Übereinkommen nicht daran hindern soll, Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen zu bewältigen. Die Versorgung soll mit notwendigen Medikamenten in Krisenregionen der Welt sichergestellt werden, um die weitere Ausbreitung von ansteckungsgefährlichen Krankheiten wie HIV/AIDS, Tuberkulose oder Malaria zu bekämpfen. Dabei kann auf Zwangslizenzen zur Herstellung patentgeschützter Medikamente für diese Krisenregion zurückgegriffen werden. Die Doha Erklärung stellt eine enge Ausnahme dar, die vor allem für Krisen in Entwicklungsländern gedacht ist. Eine Ausdehnung der Ausnahmereglung auf wachstumsstarke Schwellenländer wie Indien könnte die Grundmaximen des TRIPS-Übereinkommens in Frage stellen, vor allem dann, wenn diese Ausdehnung für sämtliche Medikamenttypen gelten soll.   

Das indische Patentamt hat sich in der Sache Natco versus Bayer auf eine Reglung gestützt, die scheinbar losgelöst von TRIPS und der Doha Erklärung die Vergabe von Zwangslizenzen ermöglicht. Nach der indischen Regelung können drei Jahre nach Erteilung eines Patents Zwangslizenzen erteilt werden, wenn einer von drei Tatbeständen nachgewiesen werden kann. Dabei handelt es sich um den Tatbestand,

– dass ein öffentliches Bedürfnis mit der patentierten Erfindung im Inland nicht abgemessen abgedeckt wird,

– die patentierte Erfindung der Öffentlichkeit zu keinem angemessenen Preis zur Verfügung gestellt wird, 

– die patentierte Erfindung in Inland nicht hergestellt oder implementiert wird.

Das indische Patentamt war der Auffassung, dass alle drei Tatbestände erfüllt sind. Bei der Auslegung der Vorschrift wurden allerdings die Grundwertungen des TRIPS-Übereinkommens nicht mitberücksichtigt. Das Patentamt prüfte allein die Tatbestandsmerkmale. Tatsächlich ist der von Bayer angesetzte Preis des Medikaments relativ hoch. Wohl zu hoch für den indischen Durchschnittspatienten, der gewöhnlich keiner Krankenkasse angehört, wie das Patentamt anmerkt. Allerdings sind in den von Bayer veranschlagten Preisen die Entwicklungskosten des Medikaments berücksichtigt. Diese Entwicklungskosten fallen auf Seiten des Generikaunternehmens nicht an, weshalb von Natco auch nur ein Bruchteil des Verkaufspreises angesetzt wurde.

Der Entwickler und Erfinder verliert dadurch die Motivation, sich an zukünftigen Investitionen zu beteiligen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass US-Konzerne wie Pfizer angekündigt haben, das Forschungs- und Entwicklungsbudget zu kürzen. Auch der deutsche Pharmakonzern Bayer will aufgrund des Falls Nexavar seine Strategie und das finanzielle Engagement überdenken. Die Entscheidung des indischen Patentamts mag kurzfristig einen Missstand im indischen Gesundheitswesen abmildern. Dies geschieht aber zum Nachteil privater Innovatoren und des technischen Fortschritts.

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