„Aus“ für gestaffelten Urlaub

Dr. Alexius Leuchten, RA, FAArbR und Partner der BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft, München

Das BAG hat mit seiner jüngsten Entscheidung vom 20. 3. 2012 nach dem Lebensalter der Arbeitnehmer gestaffelte Urlaubsansprüche endgültig „beerdigt“. Die Vorinstanz, das LAG Berlin-Brandenburg, hatte die Staffelung noch durchgehen lassen. Dagegen hatte bereits das LAG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 18. 1. 2011 dem BAG den Weg zu einer Unwirksamkeit der Staffelungen gewiesen: Dem LAG Düsseldorf hatte der Manteltarifvertrag Einzelhandel vorgelegen, der eine Urlaubsstaffelung enthielt, nach der der Urlaubsanspruch zwischen dem zwanzigsten und dem dreißigsten Lebensjahr um 6 Werktage ansteigen sollte.

Im nun vom BAG entschiedenen Fall unterfiel der beklagte Landkreis dem TVöD, der in § 26 Abs. 1 folgende Urlaubsstaffel aufweist:

­        bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage,

­        bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und

­        ab dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.

Diese Regelung benachteiligt nach Auffassung des BAG Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Nach § 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nur zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Das BAG hat geprüft, ob die Urlaubsstaffelung das legitime Ziel verfolgt, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen. Es lässt sich aber kaum begründen, dass gerade eine Stufe vom 29. zum 30. und vom 39. zum 40. Lebensjahr dem Erholungsbedürfnis „älterer Arbeitnehmer“ (mit 40) dient. Diese Argumentation mag bei Erreichen des 50. Lebensjahres überzeugend klingen. Die Altersstufen im TVöD sind jedoch gleichheitswidrig und unwirksam. Es muss eine „Angleichung nach oben“ erfolgen, das heißt, auch die jüngeren Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben Anspruch auf 30 Tage Urlaub.

Auswirkungen:

Die Entscheidung erstreckt sich nicht nur auf den öffentlichen Dienst, sondern auch auf die Privatwirtschaft. Damit wäre eine Vielzahl von Tarifverträgen betroffen (so enthält z.B. der MTV für das Elektrohandwerk in Bayern eine Urlaubsstaffel). Das Urteil gilt auch für Arbeitsverträge, denn auch arbeitsvertraglich vereinbarte diskriminierende Regelungen unterfallen der Wirksamkeitskontrolle nach dem AGG.

Aus dem Urteil kann nicht geschlossen werden, dass alle Staffeln unwirksam sind. Das BAG beschäftigt sich ausschließlich mit den Staffeln bis zum 40. Lebensjahr. Viele Tarifverträge und auch arbeitsvertragliche Regelungen sehen noch um das 50. Lebensjahr herum eine weitere Stufe vor, nach der der Urlaubsanspruch ansteigt. Das BAG hatte keine Veranlassung, sich auch mit dieser Stufe zu beschäftigen. Der Schluss ist jedoch berechtigt, dass das BAG eine längere Urlaubszeit von älteren Mitarbeitern nicht grundsätzlich ablehnt. Im höheren Lebensalter gibt es ein gesteigertes Erholungsbedürfnis, das einen legitimen Grund für eine längere Urlaubszeit abgeben dürfte.

Bereits das erwähnte LAG Düsseldorf führte zur Frage einer möglichen Rückwirkung der Unwirksamkeit von tarifvertraglichen Bestimmungen aus, dass Tarifverträge, die vor dem Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 abgeschlossen worden sind, nicht unter Vertrauensschutz stehen. Diese hätten längst angepasst werden können, da die dem AGG zugrunde liegende Richtlinie 2000/78/EG schon im Dezember 2000 erlassen worden ist. Zu diesem Zeitpunkt hätte man bereits wissen können, dass die Diskriminierungsverbote auch auf tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung finden. Es ist zu vermuten, dass das BAG dies ähnlich sieht. Danach wirkt die Unwirksamkeit zurück, so dass aus der Vergangenheit aufgelaufene Resturlaubsansprüche bestehen können, sofern sie nicht verfallen sind.

Rechtsfolge der Unwirksamkeit altersabhängiger Staffelung ist nach der Entscheidung des BAG eine Anpassung „nach oben“. Hunderttausende Mitarbeiter im öffentlichen Dienst dürften daher nun 30 Urlaubstage fordern können.

Empfehlungen:

Zunächst wäre zu prüfen, ob und wenn ja, welche Urlaubsstaffelungen im Betrieb existieren: Beruhen sie auf Tarifverträgen, gelten unter Umständen allgemeinverbindliche Tarifverträge? Ist der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband und existieren insofern Verbandstarifverträge oder bestehen Haustarifverträge, die der Arbeitsgeber mit der Gewerkschaft nachverhandeln kann? Haustarifverträge können auch zum Nachteil der Arbeitnehmer für die Zukunft geändert werden. Bestehen in den Arbeitsverträgen Verweisungsklauseln auf Tarifverträge, die Urlaubsstaffeln enthalten?

 Hat das Unternehmen die vorstehend geschilderten „Hausaufgaben“ erledigt, kann überlegt werden, wie negative Folgen dieser Entscheidung so weit wie möglich vermieden werden können. Konnte der Mitarbeiter seinen vereinbarten Jahresurlaub im vergangenen Jahr vollständig nehmen, dürfte unabhängig von einer möglichen Verfallfrist im Tarifvertrag kein Restanspruch mehr bestehen, da es keinen allgemeinen Rechtsanspruch für die Überleitung von Urlaubsansprüchen in das laufende Kalenderjahr gibt. Wurden Urlaubsansprüche aus dem vergangenen Jahr übergeleitet oder erlaubt das Unternehmen generell eine Überleitung von Restansprüchen ins laufende Kalenderjahr, dürfte sich der Restanspruch um die wegen der Urlaubsstaffel im vergangenen Jahr nicht genommenen Urlaubstage erhöhen. Bei Mitarbeitern, für die ein Tarifvertrag nicht gilt (weil sie z.B. nicht tarifgebunden sind, weil kein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag existiert oder weil kein Tarifvertrag in Bezug genommen worden ist), lässt sich das Problem arbeitsvertraglich lösen. Eine Lösung kann darin bestehen, dass eine Zwischenstufe als dauerhafter Urlaubsanspruch vereinbart wird. Dies gilt auch für die Arbeitsverhältnisse, für die ein Tarifvertrag in der Nachwirkungsphase nach § 4 Abs. 5 TVG gilt.

Vor allem sollten Arbeitsvertragsmuster bereinigt werden: Urlaubsstaffeln sollten nicht mehr verwandt werden. Aus Unternehmenssicht zentral sind außerdem mögliche steuerliche Konsequenzen. Unternehmen, die Restansprüche aus der Vergangenheit identifizieren können (z.B. gilt dies für Stadtwerksunternehmen, für die der TVöD gilt), müssen an bilanzielle Rückstellungen denken.

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