Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) am 1. 11. 2008 bestand erhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Frage, ob ein Gesellschafter bei der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den an den Gläubiger ausgekehrten Betrag zur Insolvenzmasse erstatten muss. Der BGH hat diese Frage nun mit Urteil vom 1. 12. 2011 – IX ZR 11/11, DB 2011 S. 2832 entschieden und eine Erstattungspflicht, gestützt auf eine analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO, bejaht.
Die T-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) erhielt ein Darlehen von der S-Bank. Zur Sicherung bestellte ihr Alleingesellschafter Grundschulden an Grundstücken, die in seinem Eigentum standen. Zusätzlich war das Darlehen durch eine Sicherungsübereignung von Fahrzeugen besichert, die im Eigentum der Schuldnerin standen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin verwertete der später klagende Insolvenzverwalter die Fahrzeuge, zahlte den Verwertungserlös an die S-Bank aus und begehrte sodann von dem beklagten Gesellschafter Erstattung des ausgekehrten Verwertungserlöses zur Insolvenzmasse.
Nachdem das LG Arnsberg (8 O 127/09) der Klage stattgegeben hatte, wurde sie in der Berufungsinstanz durch das OLG Hamm (I-8 U 85/10) abgewiesen. Das Revisionsurteil des BGH führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Vor Inkrafttreten des MoMiG wurde der Ausgleichsanspruch der Masse gegen den befreiten Gesellschafter nicht über die Vorschriften der Insolvenzanfechtung, sondern gesellschaftsrechtlich über die sog. „Rechtsprechungsregeln“ (analog §§ 30, 31 GmbHG a. F.) begründet. Der Gesellschafter sollte nicht durch die Darlehenstilgung aus dem gebundenen Gesellschaftsvermögen von seiner – vorrangigen – Sicherungspflicht befreit werden. Diese „Rechtsprechungsregeln“ des alten GmbH-Rechts sind nunmehr durch den Nichtanwendungsbefehl in § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG nicht mehr anwendbar.
Für den vorliegenden Fall gibt es daher seit Inkrafttreten des MoMiG keine gesetzliche Regelung mehr. Insbesondere greifen die Anfechtungsregeln gem. §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 Satz 1 InsO nicht unmittelbar. Denn anfechtbar sind nach der allgemeinen (auch für den Anfechtungstatbestand des § 135 InsO geltenden) Vorschrift des § 129 Abs. 1 InsO nur solche Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind (und die Insolvenzgläubiger benachteiligen). Dies war hier nicht der Fall, da die anfechtbare Rechtshandlung, nämlich die Befreiung der Gesellschaftersicherheit, erst durch die Erlösauskehrung und damit erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte.
Im Schrifttum wurde jedoch nahezu einhellig die Auffassung vertreten, dass sich an dem bislang geltenden Grundsatz der (wirtschaftlich) vorrangigen Haftung der Gesellschaftersicherheit durch das MoMiG nichts ändern sollte. Unterschiedliche Auffassungen gab es allein hinsichtlich der Frage, wie der Fortbestand der bisherigen Rechtslage dogmatisch begründet werden könnte, um diesen „groben handwerklichen Schnitzer des Gesetzgebers“ (Bork, in: FS Ganter, 2010, S. 135 [147]) auszubessern.
Anders als zuvor das OLG Hamm hält der BGH die aufgezeigte Regelungslücke für planwidrig und damit eine Analogie für möglich. Der Gesetzgeber habe den Fall, dass die doppelte Sicherung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch bestehe, bei der Neuregelung des GmbH-Rechts schlicht nicht bedacht.
Eine Einschränkung des Rechtes des Drittgläubigers, nach seiner Wahl zunächst die Gesellschafts- oder zunächst die Gesellschaftersicherheit in Anspruch nehmen zu können, wie in der Literatur in Analogie zu § 44a InsO vorgeschlagen wurde, lehnt der BGH zu Recht ab, weil es sich um einen erheblichen Eingriff in die Rechtsstellung des unbeteiligten Dritten handeln würde, der nicht ohne eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers vorgenommen werden könne.
Hingegen ist der BGH der Auffassung, dass es keine durchgreifenden Argumente gegen eine analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO gebe.
Zunächst betont der Senat, dass bei wertender Betrachtung kein Unterschied zwischen der Rückzahlung eines gesellschaftergesicherten Darlehens innerhalb der Fristen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO und derjenigen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehe.
Außerdem hat der Senat in der vorliegenden Konstellation keine Bedenken gegen den Verzicht auf die Anfechtungsvoraussetzungen des § 129 InsO. Anders als bei der Auslegung von anfechtungsrechtlichen Vorschriften komme die analoge Anwendung einer Norm von vornherein nur dann in Betracht, wenn nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt seien. § 143 Abs. 3 InsO stelle insofern einen Sonderfall im System des Insolvenzanfechtungsrechts dar, als der Anspruch sich nicht gegen den Empfänger der Leistung – der Darlehensrückzahlung – richte, sondern gegen einen Dritten, nämlich den Gesellschafter, der hierdurch nur mittelbar – durch Freiwerden der von ihm gestellten Sicherheit – begünstigt worden sei. Zudem sei die Anfechtung von Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Gesetz nicht völlig fremd. Der BGH verweist auf die Vorschrift des § 147 InsO, die u. a. die Anfechtbarkeit solcher Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners regelt, die aufgrund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs wirksam sind. § 147 InsO zeige, dass § 129 Abs. 1 InsO mit dem Bezug auf Rechtshandlungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine für das Anfechtungsrecht schlechthin unentbehrliche Voraussetzung bezeichne, die jede Durchbrechung ausschließe. Dem hier zu entscheidenden Fall der (primären) Verwertung einer von der Insolvenzschuldnerin gestellten Sicherheit stehe § 147 InsO insofern nahe, als der Insolvenzverwalter den Zugriff des Drittgläubigers auf die Sicherheit der Masse nicht abwenden könne. Ausgangspunkt sei demnach jeweils eine masseschmälernde Verfügung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die der Insolvenzverwalter trotz seiner umfassenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO) nicht verhindern könne. Dies rechtfertige in beiden Fällen eine Abweichung von der anfechtungsrechtlichen Grundnorm des § 129 Abs. 1 InsO, die davon ausgehe, dass der Verwalter von der Eröffnung an Gläubigerbenachteiligungen verhindere.
Soweit im Schrifttum vereinzelt kritisiert wurde, das reine Freiwerden einer Gesellschaftersicherheit führe noch nicht zu einer Benachteiligung der Gläubiger (so Lenger, Anm. zu OLG Hamm, Urteil vom 29. 12. 2010 – I-8 U 85/10, NZI 2011 S. 251 [254]), weist der BGH auch diesen Einwand zurück. Die Frage der Gläubigerbenachteiligung stelle sich in allen Fällen der doppelten Besicherung der Darlehensforderung unabhängig davon, ob die Forderung vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Mitteln der Gesellschaft befriedigt worden sei. Der gesetzlich geregelte Fall (§ 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3 InsO) lasse ausreichen, dass Mittel der Gesellschaft verwendet wurden und dass die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit dadurch frei geworden sei. Nichts anderes gelte in dem hier zu entscheidenden Fall, in dem der Gläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befriedigt wurde.
Die Entscheidung des BGH beseitigt somit eine handwerkliche Ungenauigkeit des MoMiG und bestätigt damit auch die wohl herrschende Ansicht im Schrifttum. Sie ist sowohl inhaltlich als auch im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen.