Zu den besonderen Rechtsfolgen von Unternehmensinsolvenzen gehört es, dass der Insolvenzverwalter auch berechtigte Zahlungen an Gläubiger, die noch vor der Insolvenz erfolgt sind, anfechten und vom Zahlungsempfänger zurückverlangen kann. Das geht zwar nicht ohne Weiteres und erfordert neben der Insolvenz des Schuldners weitere Umstände, jedoch hat die Rechtsprechung diese Hürden immer weiter abgesenkt. Besonders weitgehend ist dabei die Rechtsprechung zur sog. Vorsatzanfechtung, die statt der bekannten 3 Monate vor Insolvenzantragstellung 10 Jahre zurückreicht. Der Vergleich zur 3-jährigen Regelverjährung zeigt, welche außergewöhnlichen Risiken dahinterstecken. Wer bildet schon Rückstellungen für Zahlungen, die er vor Jahren vereinnahmt hat?
Freilich scheinen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vorsatzanfechtung auch besonders hoch: Der Schuldner muss die Zahlung mit dem Vorsatz veranlasst haben, seine (übrigen) Gläubiger zu benachteiligen, und der andere Teil muss diesen Vorsatz gekannt haben. Allerdings wird die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes von der Rechtsprechung bereits dann angenommen, wenn dem Anfechtungsgegner bekannt ist, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners droht und die Handlung die Gläubiger benachteiligt.
In seinem neuen Urteil vom 26. 4. 2012 – IX ZR 74/11, DB 2012 S. 1199 hat der BGH den Anwendungsbereich für Vorsatzanfechtungen nun erneut erweitert. Nicht nur der Zahlungsempfänger, auch der Zahlungsmittler – z. B. die kontoführende Bank – kann unter Umständen für die Rückzahlung der anfechtbar erfolgten Zahlung mithaften. In dem entschiedenen Fall handelte es sich allerdings nicht um eine Bank, sondern um einen mit Treuhandvertrag eingesetzten Treuhänder, der angewiesen war, treuhänderisch erhaltene Gelder an bestimmte Gläubiger weiterzuleiten. Weil der Treuhänder aber hätte erkennen können, dass die Zahlung dazu diente, die Insolvenzgläubiger zu benachteiligen, hätte er den Treuhandauftrag nach dem Urteil des BGH nicht mehr annehmen dürfen.
Den konkreten Fall nimmt der BGH zum Anlass, weitgehende Vergleiche zu kontoführenden Banken als Zahlungsmittler anzustellen. Zunächst stellt er klar, dass eine Vorsatzanfechtung gegen eine Bank, die als bloße Zahlstelle des Schuldners fungiert, also die erteilten Zahlungsaufträge lediglich rein zahlungstechnisch umsetzt, in der Regel nicht in Betracht komme. Es gebe aber, so der BGH, vielfältigen Gestaltungen, in denen eine Gläubigerbenachteiligung auf kollusives Zusammenwirken des Schuldners mit der zahlungsvermittelnden Bank zurückgehe. Beispielhaft sei die Bank, die mangels insgesamt hinreichender Kontodeckung in Absprache mit dem Schuldner bestimmte Gläubiger durch Zahlung befriedigt, andere aber nicht. Gibt also der Schuldner einige Lastschriften zurück, lässt andere aber unwidersprochen passieren, kann demnach schon dieses Verhalten eine Haftung der Bank begründen. Fällt der Kunde in Insolvenz, läuft die Bank dann das Risiko, die ausgeführten Lastschriften an den Insolvenzverwalter erstatten zu müssen. Ein Trost bleibt ihr: Die Bank darf ihrerseits die Zahlung vom Zahlungsempfänger zurückfordern. Ob dieser dann allerdings noch erreichbar ist und welche Schwierigkeiten die Rechtsverfolgung bereitet, z. B. wenn der Empfänger im Ausland sitzt, ist allerdings allein Sache der Bank.
Das nun ergangene Urteil lässt viele Fragen offen. Klar ist aber die Tendenz, das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters weiter auszudehnen, dieses Mal hinsichtlich der möglichen Anfechtungsgegner. Angesichts der erheblichen Unsicherheiten ist der Gesetzgeber dringend aufgefordert, bei der nächsten Insolvenznovelle dem Anfechtungsrecht und insbesondere der zeitlich uferlosen Vorsatzanfechtung klare Konturen zu geben und Rechtssicherheit zu schaffen, wobei an erster Stelle der unüberschaubare zeitliche Rahmen von 10 Jahren verkürzt werden sollte.