Krankenkassen und Fusionskontrolle – Entscheidung zugunsten des Wettbewerbs

RA Dr. Carsten Grave, Partner, Linklaters LLP, Düsseldorf

Die Bundesregierung hat das laufende Gesetzgebungsverfahren betreffend das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die sog. „8. GWB-Novelle“, zum Anlass genommen, dem Streit über die Anwendung kartellrechtlicher Vorschriften auf die gesetzlichen Krankenversicherungen ein Ende zu setzen. Neue Streitpunkte zeichnen sich jedoch bereits ab und der Streit um die genauen Grenzen des Kartellrechts wird die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens auch weiter „bereichern“.

Der Gesetzesentwurf von März 2012 sieht vor, dass die Regelungen des GWB über die Zusammenschlusskontrolle bei der freiwilligen Vereinigung von Krankenkassen entsprechend anwendbar sind (§ 172a SGB V n. F.). Zudem wird die Anwendbarkeit kartellrechtlicher Vorschriften über das Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern (bisher § 69 SGB V) auf das Verhältnis der Krankenkassen untereinander und das Verhältnis zu den Versicherten ausgedehnt (§ 4 Abs. 3 SGB V n. F.).

Das Gesundheitsstrukturgesetz (1991) und das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (2007) hatten Vereinigungen von Krankenkassen erleichtert und eine Fusionswelle ausgelöst. Die Zahl der Krankenkassen in Deutschland fiel zwischen 2000 und 2011 von 420 auf ca. 150. Der Gesetzgeber ging damals davon aus, dass diese Zusammenschlüsse vom Bundeskartellamt geprüft würden, um schädliche Monopole zu verhindern. So hat das Bundeskartellamt in der Vergangenheit Zusammenschlüsse von Krankenkassen geprüft, z. B. im April letzten Jahres die Fusion zwischen der AOK Rheinland-Pfalz, der AOK Saarland und der IKK Südwest.

Das Bundeskartellamt hatte seine Prüfung jedoch eingestellt, nachdem das Landessozialgericht Hessen im September 2011 entschieden hatte, Krankenkassen seien keine „Unternehmen“ im Sinne des GWB (Urteil vom 15. 9. 2011 – L 1 KR 89/10 KL, DB0480119). Auslöser dieses Verfahrens waren Auskunftsbeschlüsse des Bundeskartellamts als Reaktion auf eine gemeinsame Pressekonferenz mehrerer Krankenkassen zu Planungen, kassenindividuelle Zusatzbeiträge zu erheben. (Jedem anderen Unternehmen, das unzweifelhaft das Kartellrecht zu beachten hat, hätte man wohl geraten, diese Pressekonferenz besser nicht abzuhalten.)

Mit Rückendeckung der Gerichte setzt das Bundeskartellamt nun schon seit vielen Jahren das Kartellrecht gegen die „Leistungserbringer“ durch, also u. a. Krankenhäuser, Ärzte und deren Verbände und Vereinigungen (vgl. beispielsweise Tätigkeitsbericht 2005/06 des Bundeskartellamts, S. 164 ff.). Es war zu erwarten, dass der Gesetzgeber sich eines Tages dieser unglücklichen Konstellation wieder annehmen müsste: eine Seite des Marktes unterliegt dem Kartellrecht, die andere nicht.

Zum Teil ging selbst die Fachwelt aber davon aus, der Europäische Gerichtshof habe in dem Urteil AOK Bundesverband (Urteil vom 16. 3. 2004 – C-264/01 u. a., WuW 2004 S. 665) endgültig entschieden, Krankenkassen unterlägen nicht dem Kartellrecht. Dabei war oft genug übersehen worden, dass die Nichtanwendbarkeit des europäischen Kartellrechts davon abhing, dass die Krankenkassen „keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen.“ Dann werde „ihre auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruhende Tätigkeit […] ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt, und die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht“, und sie seien keine Unternehmen. Aber ob das so ist, legt das nationale Recht der sozialen Sicherheit fest. Für die deutschen Allgemeinen Ortskrankenkassen hielt der Europäische Gerichtshof damals fest: „Besonders hervorzuheben ist, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe sind. Die Krankenkassen haben somit keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen.“ In der Sache überantwortete der Europäische Gerichtshof die Anwendung auch des europäischen Kartellrechts auf Krankenkassen doch wieder dem nationalen Gesetzgeber.

Die Monopolkommission hatte sich im Februar 2012 für die grundsätzliche Anwendbarkeit der kartellrechtlichen Vorschriften auf die Krankenkassen ausgesprochen. Dies folge insbesondere aus dem vom Gesetzgeber angestoßenen Wettbewerbsprozess, der nur dann das Gemeinwohl fördere, wenn die Marktkonzentration kontrolliert werde. Der Bundesrat lehnt die Anwendung der Fusionskontrolle auf die Krankenkassen in seiner Stellungnahme von Mai 2012 – wie bereits 2007 – ab.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um die Anwendung des Kartellrechts – wenn die 8. GWB-Novelle wie von der Bundesregierung beschlossen in Kraft tritt – dürfte demnächst (wie bisher) die immer weiter ausgreifende gemeinsame Beschaffung von Arzneimitteln und Impfstoffen durch mehrere Krankenkassen stehen. Selbst hier sind jedoch noch Fragen offen: (a) Sind die Krankenkassen in Deutschland (nun) Unternehmen im Sinne des europäischen Kartellrechts? Diese Frage stellt sich im Prinzip nach jeder Reform des Gesundheitswesens neu. (b) Ist der nationale Gesetzgeber frei, die Geltung des Kartellrechts dort anzuordnen, wo das europäische Kartellrecht nicht gilt. Oder ist er daran gehindert, über den abschließenden Begriff des „Unternehmens“ im europäischen Kartellrecht hinauszugehen? (Siehe dazu Bechtold/Brinker/Holzmüller, Rechtliche Grenzen der Anwendung des Kartellverbots auf die Tätigkeit gesetzlicher Krankenkassen (2010); Ehlermann/Kamann, Die unionsrechtliche Zulässigkeit einer Anwendung des Kartellverbots auf die Leistungsbeziehungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (2010)) Abgesehen von diesen grundsätzlichen Fragen, die der Gesetzgeber – wie schon mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (2010) – im Sinne des Wettbewerbsgedankens zu beantworten sucht, sind jedenfalls weitere Auseinandersetzungen um die genauen Grenzen der Zusammenarbeit der Krankenkassen zu erwarten. Der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt hat bereits erkennen lassen, dass das Bundeskartellamt von den alten wie neuen Befugnissen Gebrauch zu machen bereit ist, denn aus der kurzfristigen Kostensenkung folge nicht per se die kartellrechtliche Zulässigkeit gemeinsamer Ausschreibungen (Interview mit Andreas Mundt in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. 6. 2012, S. 13). Gemeinsame Pressekonferenzen zu Zusatzbeiträgen wird es aber wohl auch nicht mehr geben.

Alle Kommentare [1]

  1. Eine Fusion finde ich nur sinnvoll wenn es danach eine große Kasse gibt, anderenfalls ist es nur eine Methode um sich noch mehr zu bereichern.