Zeitpunkt einer Ad hoc-Meldung: EuGH entscheidet zum Schrempp-Rücktritt

RA Dr. Klaus-Dieter Stephan, Partner, Hengeler Mueller, Frankfurt/M.

Mit Urteil vom 28. 6. 2012 – Rs. C-19/11, DB 2012 S. 1496 hat der EuGH zum richtigen Zeitpunkt der Pflichtveröffentlichung nach § 15 WpHG („Ad hoc-Veröffentlichung“) entschieden. Das Urteil betrifft den Rücktritt des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Jürgen Schrempp. Dabei geht es zum einen um Schadensersatz wegen nicht rechtzeitiger Ad hoc-Veröffentlichung nach § 37b WpHG und zum anderen um bußgeldrechtliche Aspekte derselben Ausgangsfrage. Beide Stränge verdeutlichen die große Bedeutung der Ad hoc-Meldepflichten.

Der Sachverhalt ist bekannt und vielfach publiziert: Am 28. 7. 2005 beschloss der Aufsichtsrat im Einvernehmen mit Herrn Schrempp, dass er zum Jahresende aus dem Amt ausscheiden solle. Die Ad hoc-Veröffentlichung erfolgte unmittelbar danach. Bereits seit dem 17. 5. hatte es vorbereitende Gespräche und Informationen unter Beteiligung von Herrn Schrempp, dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat gegeben. Am 27. 7. hatte der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats sich mit der Sache befasst.

Die Entscheidung des EuGH befasst sich zunächst mit der Frage, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang einzelne Zwischenschritte bereits eine „präzise Information“ (das deutsche Recht sagt „konkrete Information“, meint aber dasselbe) sein können, deren Vorliegen eine Veröffentlichungspflicht begründet. Der EuGH bejaht das, wie zuvor bereits das OLG Frankfurt/M. in der bußgeldrechtlichen Entscheidung (Beschluss vom 12. 2. 2009 – 2 Ss Owi 514/08, DB 2009 S. 836). Das OLG Frankfurt/M. hatte bereits die Äußerung der Rücktrittsabsicht gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied genügen lassen. Richtig (und unbestritten) ist, dass bei gestreckten Ereignissen nicht nur die endgültige Verwirklichung als Anknüpfungspunkt einer Veröffentlichungspflicht in Betracht kommt; wäre es anders, hätten alle Klagen in Sachen Schrempp ohne weitere Prüfung abgewiesen werden müssen, denn die rechtzeitige Veröffentlichung der endgültigen Entscheidung stand nie infrage. Aus der Entscheidung des EuGH ergibt sich, dass die Einordnung eines Zwischenschritts als „präzise Information“ des Weiteren voraussetzt, dass die fragliche Information spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Kursauswirkungen zuzulassen (EuGH, Rdn. 39). Die Gerichte (zunächst wieder der BGH) werden sich jetzt damit befassen müssen, ob bereits einzelne Schritte vor der Entscheidung des Aufsichtsrats diese Anforderung erfüllen. Der Umstand, dass ein Vorstandsvorsitzender mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über eine vorzeitige Amtsbeendigung spricht, kann nur unter der weiteren Voraussetzung kurswirksam sein, dass der Markt sich eine hinreichend spezifische Meinung von der Wahrscheinlichkeit des Fortgangs der Sache und von ihrer Bedeutung für die Gesellschaft bildet. Dabei sollte es nicht darauf ankommen, ob bestimmte Anlegergruppen bereits bei geringer Aussagekraft des Zwischenschritts die erwartete (Über-)Reaktion nervöser Märkte für Arbitragegeschäfte nutzen könnten.

Begrüßenswerte Klarstellungen bietet der EuGH zur Frage der Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Umstände und Ereignisse. Danach ist es erforderlich, dass bei einer Würdigung aller verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden kann, dass sie existieren oder eintreten werden. Der EuGH lehnt damit die vom Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (DB 2012 S. 905) vertretene „Wechselwirkungstheorie“ ab, wonach eine höhere potenzielle Kursauswirkung zu einer Reduzierung des Grads der Wahrscheinlichkeit führt. Auch wenn aufgrund dieses Effekts zu erwarten wäre, dass eine spürbare Kursauswirkung bestünde, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass das Ereignis tatsächlich eintreten wird (EuGH, Rdn. 54). Erwartungen an eine deutliche zeitliche Vorverlagerung der Ad hoc-Pflicht aufgrund der „Wechselwirkungstheorie“ sind damit obsolet.

Ob das Urteil des EuGH den deutschen Gerichten bei der Entscheidung der Sache wesentlich weiterhelfen wird, bleibt abzuwarten. Eine sehr frühe Ad hoc-Pflicht ergibt sich daraus jedenfalls nicht zwingend.

Insgesamt verdeutlicht der Fall Schrempp die Notwendigkeit, im Rahmen von gestreckten Vorgängen das Vorliegen der Ad hoc-Voraussetzungen und die Möglichkeit einer ggf. vorsorglichen Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG ständig im Auge zu behalten und sorgfältig zu prüfen. Soweit es sich um Vorstandsangelegenheiten handelt, ist der Aufsichtsrat jedenfalls insoweit geschäftsführungs- und vertretungsbefugt (vgl. § 112 AktG), wie der Vorstand nicht handlungsfähig ist (z. B. weil von der Sache überhaupt nur das betroffene Vorstandsmitglied weiß).

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