Der Europäische Gerichtshof (EuGH) billigte am 5. 6. 2012 in der Rs. C-124/10 P EDF/Kommission die Anwendung des beihilferechtlichen Privatinvestortests auf gesetzgeberische und steuerliche Maßnahmen eines Mitgliedstaates. Er bestätigte damit die Aufhebung einer Kommissionsentscheidung durch das Gericht. Die EU-Kommission durfte die Anwendung des Privatinvestortests nicht alleine deswegen ablehnen, weil der Mitgliedstaat Frankreich dem Unternehmen EDF wirtschaftliche Vorteile aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen gewährt hatte. Das Urteil weitet den Anwendungsbereich für den Privatinvestortest aus und wird erhebliche praktische Bedeutung für die Einstufung staatlicher Maßnahmen als Beihilfen haben. Dies wird auch Konsequenzen für die Möglichkeit von Wettbewerbern haben, sich gegen solche Maßnahmen vor nationalen Gerichten zu wehren.
Nach Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die Gewährung staatlicher Beihilfen grundsätzlich verboten. Eine staatliche Beihilfe liegt u. a. vor, wenn einem spezifischen Unternehmen aus staatlichen Mitteln ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt wird. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei dem begünstigten Unternehmen um ein öffentliches oder privates Unternehmen handelt.
Nach dem Privatinvestortest liegt aber keine Beihilfe vor, wenn ein privater Investor in einer dem Staat vergleichbaren Lage dem Unternehmen den Vorteil in gleicher Weise gewährt hätte. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein vom Staat gewährtes Darlehen zu marktüblicher Verzinsung und unter marktüblichen Sicherheiten gewährt wird oder wenn der Staat für ein Investment eine markt- und sektorübliche Rendite erhält. Der Privatinvestortest ist grundsätzlich auch auf Eigenkapitaleinlagen des Staates in einem öffentlichen Unternehmen anwendbar.
Bei der Anwendung des Privatinvestortests ist aber zwischen dem Staat als Marktteilnehmer und dem Staat als Träger öffentlicher Gewalt zu unterscheiden. Bei der Bewertung einer Investition des Staates sind daher solche Risiken nicht zu berücksichtigen, die dem Staat als Träger öffentlicher Gewalt entstehen, z. B. Steuerausfälle, sinkende Sozialabgaben, höhere Arbeitslosigkeit oder Risiken aus Bürgschaften, welche als Beihilfen gewährt wurden.
Die praktische Bedeutung des Privatinvestortests im Beihilfenrecht ist nicht zu unterschätzen. Er ist in Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission durchweg anerkannt. Stellt demnach eine Maßnahme keine Beihilfe dar, muss diese Maßnahme nicht bei der EU-Kommission angemeldet und auch nicht durch sie genehmigt werden. Darüber hinaus können sich Wettbewerber nicht vor nationalen Gerichten wegen Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV gegen diese Maßnahmen zur Wehr setzen bzw. Schadensersatz verlangen.
Im Urteil EDF prüfte der Gerichtshof die Frage, ob ein Mitgliedstaat sich in seiner Funktion als Anteilseigner für die Gewährung einer Eigenkapitaleinlage in ein öffentliches Unternehmen hoheitlicher Maßnahmen bedienen kann oder ob der Einsatz solcher Mittel die Anwendbarkeit des Privatinvestortests von vorneherein ausschließt. Die Kommission hatte entschieden, dass die Gewährung eines Vorteils durch gesetzgeberische und steuerliche Maßnahmen wie Änderungen der Bilanzierungsregeln und daraus resultierende Steuervorteile für ein öffentliches Unternehmen nicht am Privatinvestortest gemessen werden könnten, weil der Mitgliedstaat insoweit als Träger hoheitlicher Gewalt tätig geworden sei.
Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass ein Vorteil zugunsten des öffentlichen Unternehmens selbst dann anhand des Privatinvestortests zu beurteilen sein kann, wenn dieser durch legislative oder steuerliche Maßnahmen gewährt wird. Mit anderen Worten belegt die Form des Handelns nicht, dass der Mitgliedstaat als Träger hoheitlicher Gewalt tätig geworden ist. Der Mitgliedstaat muss jedoch belegen, dass er tatsächlich als Marktteilnehmer gehandelt, d. h. ex ante die Maßnahme als eine Investition betrachtet hat. Insoweit ist der Nachweis z. B. in Form eines Business Plans erforderlich, dass die Maßnahme auf marktwirtschaftlichen Erwägungen beruht, die mit jenen vergleichbar sind, die ein rationaler privater Kapitalgeber in einer ähnlichen Lage wie der Mitgliedstaat angestellt hätte, um die künftige Rentabilität einer solchen Kapitalanlage zu bestimmen. Eine bloß nachträgliche Berufung auf den Privatinvestortest reicht nicht aus.
Soweit demnach der Privatinvestortest anwendbar ist, sind die Kriterien im Einzelnen zu prüfen. Hierzu stellte der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung auf die Auswirkungen und nicht die Form einer Maßnahme ab. Zunächst ist daher der finanzielle Wert der staatlichen Maßnahme für das Unternehmen darzulegen. Sodann ist zu prüfen, ob ein marktwirtschaftlich handelnder privater Investor dem Unternehmen einen Vorteil in dieser Höhe, z. B. in Form einer Kapitaleinlage, gewährt hätte. Ist dies der Fall, liegt keine Beihilfe vor.
Das EDF-Urteil klärt die Anwendbarkeit des Privatinvestortests in Fällen, in denen sich der Staat hoheitlicher Formen zur Gewährung eines wirtschaftlichen Vorteils bedient. In solchen Fällen ist der Privatinvestortest nicht ausgeschlossen; allerdings ist vom Mitgliedstaat darzulegen, dass er ex ante die Maßnahme als eine marktwirtschaftliche Investition beurteilt hat. Wirtschaftliche Bewertungen, die nach Gewährung dieses Vorteils erstellt werden, die rückblickende Feststellung der tatsächlichen Rentabilität der vom betroffenen Mitgliedstaat getätigten Kapitalanlage oder spätere Rechtfertigungen der tatsächlich gewählten Vorgehensweise reichen nicht für den Nachweis aus.
Der Gerichtshof erweitert damit den Anwendungsbereich des Privatinvestortests auf hoheitliche Maßnahmen. Das Urteil hat demgegenüber keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des Privatinvestortests auf Situationen, in denen der Mitgliedstaat sich solcher Mittel bedient, die auch einem privaten Investor zu Verfügung stehen (z. B. Garantien, Darlehen, Einlagen). In diesen Fällen steht die Anwendbarkeit des Privatinvestortests von vornherein nicht infrage. Es ist daher auch nicht erforderlich, dass der Mitgliedstaat einen ex ante erstellten Business Plan vorlegt. Vielmehr muss die Kommission den Privatinvestortest zum Nachweis des Vorliegens einer Beihilfe von Amts wegen prüfen.