Existenzvernichtender Eingriff – BGH zeigt Grenzen auf

RA Dr. Sabine Pittrof, Partnerin bei Raupach & Wollert-Elmendorff, Frankfurt/M.

Sowohl der existenzvernichtende Eingriff als auch die sog. Unterbilanzhaftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern ist seit langem immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung und juristischen Diskussion. Der BGH hatte kürzlich in einem Urteil Gelegenheit, zu beidem erneut Stellung zu nehmen und einige Streitfragen diesbezüglich zu entscheiden.

 Hintergrund des Urteils vom 23. 4. 2012 – II ZR 252/10, DB 2012 S. 1261) war die Klage eines Insolvenzverwalters gegen die Gesellschafter und Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin. Diese hatten zunächst eine Vorabgewinnausschüttung an sich ausgezahlt, aber ca. 5 Monate später aufgrund der schlechten Auftragslage die Liquidation der Insolvenzschuldnerin beschlossen. Wenige Tage später wurde die Geschäftsausstattung der Insolvenzschuldnerin an eine Verwertungsgesellschaft veräußert und wiederum wenige Wochen später gründeten sie eine neue Kommanditgesellschaft mit gleichgelagertem Geschäftszweck. Diese neue Gesellschaft trat in die bestehenden Verträge der Insolvenzschuldnerin ein und übernahm deren Mitarbeiter.

Ca. 5 Monate später hatten die Beklagten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin beantragt. Bereits vor der Vorabgewinnausschüttung hatte die Insolvenzschuldnerin ihren Gesellschaftern Darlehen gewährt, die auch in der Bilanz berücksichtigt wurden. Der klagende Insolvenzverwalter sah in dem Handeln der Beklagten einen existenzvernichtenden Eingriff in das Vermögen der Insolvenzschuldnerin und machte gem. § 826 BGB Schadensersatz geltend. Hilfsweise trug er vor, die Vorabgewinnausschüttung sei unzulässig gewesen, weil kein freies Vermögen der Insolvenzschuldnerin vorhanden gewesen sei. Denn zum Zeitpunkt der Ausschüttung hätten noch Zahlungsansprüche aus Darlehen an die Gesellschafter offengestanden.

 Der BGH lehnte eine Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB ab, nahm jedoch die Gelegenheit wahr, deren Voraussetzungen noch einmal darzulegen. Demgemäß liege ein existenzvernichtender Eingriff dann vor, wenn der Gesellschaft von ihren Gesellschaftern in sittenwidriger Weise das zur Tilgung ihrer Schulden erforderliche Vermögen entzogen und damit deren Insolvenz verursacht wird. Mindestens bedingter Vorsatz sei erforderlich; im Übrigen trage die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis eines existenzvernichtenden Eingriffs der Insolvenzverwalter. Nach dem Auflösungsbeschluss seien die Beklagten als Liquidatoren verpflichtet gewesen, die laufenden Geschäfte der Insolvenzschuldnerin zu beenden. Zwar läge bei einer Verlagerung des Geschäftsbetriebes mit den Vermögenswerten auf eine andere, ebenfalls von den Gesellschaftern abhängige Gesellschaft eine Existenzvernichtungshaftung nahe. Dies treffe jedoch nur dann zu, wenn die Verwertung der Vermögensgegenstände kompensationslos erfolgt sei oder eine geordnete Abwicklung der Insolvenzschuldnerin dadurch von vornherein unmöglich gemacht würde. Die Übernahme der Verträge durch die neue Gesellschaft habe bereits deshalb nicht zu einem Schaden führen können, weil die Insolvenzschuldnerin dadurch von Pflichten entlastet worden sei. Dass die Geschäftsausstattung unter Wert verkauft worden sei, habe der Kläger nicht ausreichend vorgetragen, da nicht nachgewiesen wurde, welche Preise im Rahmen einer Liquidation hätten erzielt werden können.

 Hinsichtlich eines zusätzlichen Anspruchs aus Unterbilanzhaftung stellte der BGH zunächst fest, dass die spätere Rückzahlung der an die Beklagten ausgereichten Darlehen nicht zu einem Erlöschen des Rückzahlungsanspruchs aus § 31 Abs. 1, § 43 Abs. 3 GmbHG führe. Vielmehr resultiere die Rückzahlung nur aus einem Erlöschen der parallel bestehenden Darlehensrückzahlungsansprüche. Damit bestätigt der BGH seine frühere Rechtsprechung (Urteil vom 29. 5. 2000 – II ZR 118/98, DB 2000 S. 1455) und verweist zur Feststellung der Werthaltigkeit der Darlehen und einer möglichen Unterbilanz an das Berufungsgericht zurück.

 Auch die hier parallel bestehende mögliche Geschäftsführerhaftung aus § 43a GmbHG ändere an der Notwendigkeit zur Feststellung der Werthaltigkeit nichts. Klar bezieht der BGH diesbezüglich Stellung und befürwortet die herrschende Meinung in der Literatur, nach der sich § 43a GmbHG nur auf den Zeitpunkt der Ausreichung des Darlehens bezieht. Entsteht später eine Unterbilanz, so greift § 43a GmbHG nicht mehr ein. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 43a GmbHG. Auch der Zweck der Vorschrift stütze keine andere Auffassung. Die Vorschrift solle der Gefahr eines Absinkens des Gesellschaftsvermögens vorbeugen. Ist ein Darlehensrückzahlungsanspruch später wertzuberichtigen, so können sich die Gesellschafter bei der Feststellung des Jahresabschlusses selbst ein Bild der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft machen. Daher bestünde keine Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des § 43 a GmbHG auf die Zeit nach Darlehensgewährung auszudehnen.

 Aus Sicht der Praxis ist das Urteil zu begrüßen, schafft es doch in mehrererlei Hinsicht klare Verhältnisse. Sanierungsbemühten Gesellschaftern wird so eine Richtlinie an die Hand gegeben, wie sie sanierungsfähige Teile eines Unternehmens retten können, ohne in die Existenzgefährdungshaftung zu geraten. Auch für die Geschäftsführer ist die deutliche Aussage des BGH zu § 43a GmbHG vorteilhaft, beseitigt sie doch eine bis dato bestehende Unsicherheit im Hinblick auf das Damoklesschwert drohender Rückzahlungsansprüche.

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