Regulierung des OTC-Derivatemarktes

RA Dr. Bernd Geier, LL.M., Allen & Overy LLP, Frankfurt/M.

Am 27. 7. 2012 wurde die unter dem Namen „EMIR“ (European market infrastructure regulation) bekannt gewordene Verordnung im Amtsblatt der EU als Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien (central counterparties – CCPs) und Transaktionsregister veröffentlicht. Sie tritt zum 16. 8. 2012 in Kraft und wird den OTC-Derivatemarkt revolutionieren.

Die Parteien eines Derivates werden durch die Verordnung verpflichtet, wesentliche Inhalte ihrer Derivatekontrakte (und zugehöriger Sicherheiten) an Transaktionsregister zu melden. Die Meldepflicht wird mit einer Bestandsmeldung für alle offenen Derivatepositionen starten. Sie erfasst die Parteien eines Derivates unabhängig von der Frage, ob sie dem Finanzsektor angehören oder nicht, also z. B. auch Industrieunternehmen und andere Unternehmen der Realwirtschaft (Corporates). Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens der Meldepflicht steht noch nicht fest. Er wird in einem von der Europäischen Kommission zu erlassenden, technischen Regulierungsstandard festgelegt. Mit dem Inkrafttreten der Verpflichtung ist aktuell nicht vor Ende 2012 zu rechnen.

Die ebenfalls in der EMIR angelegte Pflicht, OTC-Derivate über CCPs abzuwickeln (Clearingpflicht), wird ebenso nicht unmittelbar mit Inkrafttreten der Verordnung Anwendung finden, sondern voraussichtlich erst ab Mitte 2013. Dann greift sie allerdings partiell rückwirkend. Die Clearingpflicht erfasst OTC-Derivate zwischen Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten, Versicherungen und Fonds. Ferner werden auch Kontrakte mit Corporates erfasst, wenn die offenen Positionen des Corporates in einer Derivatekategorie (z. B. Kreditderivate oder Zinsderivate) die sog. „Clearingschwelle“ übersteigen. Die Clearingschwelle wird voraussichtlich – je nach Derivatekategorie – auf zwischen ein und drei Mrd. € festgesetzt. Sie ist erreicht, wenn der Nominalwert aller OTC-Derivate einer Kategorie ohne zur Absicherung kommerzieller Risiken abgeschlossene Derivate (z. B. als Hedge für Risiken aus einem Liefervertrag) über dem Schwellenwert liegt. Unternehmen, die potenziell von der Verpflichtung betroffen sind, sollten wegen der partiellen Rückwirkung der Clearingpflicht bereits frühzeitig Vorbereitungen treffen, um ihre Derivatepositionen entsprechend clearen zu können.

Für OTC-Derivate, die nicht der Clearingpflicht unterliegen (werden), enthält die EMIR Vorgaben an das Risikomanagement. Gute Gründe sprechen dafür, dass diese Vorgaben ebenfalls nicht vor Inkrafttreten der insoweit durch die Europäische Kommission zu erlassenden technischen Regulierungsstandards zu beachten sind. Mit Erlass der Standards gelten die Vorgaben ggf. partiell für ab dem 16. 8. 2012 abgeschlossene OTC-Derivate. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um Anforderungen an die rechtzeitige Bestätigung der Bedingungen des betreffenden OTC-Derivates (Transaktionsbestätigung) sowie die Einführung formalisierter Prozesse zur Abstimmung von Portfolios (reconcile portfolios), zur Beherrschung der damit verbundenen Risiken, zur frühzeitigen Erkennung und Ausräumung von Meinungsverschiedenheiten, zur Beobachtung des Wertes ausstehender Kontrakte und die gegenseitige Stellung von Sicherheiten. Unklar erscheint aktuell, ob für Unternehmen des Finanzsektors zusätzliche Kapitalvorgaben festgelegt werden. Unabhängig davon, wann diese Vorgaben tatsächlich in Kraft treten werden, ist bereits heute zu erkennen, dass künftig mehr Sicherheiten im nicht CCP-geclearten OTC-Bereich zu stellen sind und mehr Gewicht auf das Risikomanagement zu legen ist. Hieraus wird sich erheblicher Handlungsbedarf für die Anpassung der entsprechenden Vertragswerke und ggf. auch zur Sicherstellung der für die Stellung von Sicherheiten erforderlichen Liquidität ergeben.

Ergänzt wird die EMIR durch die voraussichtlich zum 1. 1. 2013 in Kraft tretende Basel III-Umsetzung (CRD IV und CRR), die neue Kapitalvorgaben für OTC-Derivate (z. B. credit valuation adjustment) enthält und die Behandlungen von Risiken aus Transaktionen mit CCPs neu ausgestaltet. Die Clearingpflicht wird ferner im Rahmen der MiFID-Reform durch eine Handelsplatzpflicht ergänzt, die faktisch zur Abschaffung des OTC-Marktes in standardisierten und liquiden OTC-Derivaten (und zu dessen Verlagerung auf beaufsichtigte Handelsplätze) führen wird.

Insgesamt steht den Gegenparteien von OTC-Derivaten daher erheblicher Strukturierungs- und Anpassungsaufwand ins Haus. Bestehende OTC-Derivate sind auf ihre Behandlung unter den neuen Regelwerken zu untersuchen und ggf. entsprechend anzupassen. Neue Anbindungen an die Marktinfrastruktur müssen etabliert werden. Dies wird erhebliche Ressourcen binden und Kosten auslösen, die mittelbar und langfristig auch Einfluss auf die Bepreisung der OTC-Derivate haben werden.

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