Keine Aufklärungspflicht über Provisionen beim Vertrieb von Lehman-Zertifikaten

RA/FA f. GesellR Michael K. Schneider, Partner, Raupach & Wollert-Elmendorff, Stuttgart

Gleich vier bankenfreundliche Urteile hat der XI. Zivilsenat des BGH am 26. 6. 2012 gefällt (XI ZR 316/11, DB 2012 S. 1862, XI ZR 259/11, DB0485140, XI ZR 355/11, DB0485141, XI ZR 356/11, DB0485142).

 In den zugrunde liegenden Sachverhalten ging es jeweils um Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Lehmann-Zertifikaten. Die Anleger hatten jeweils Anfang 2007 unterschiedliche Beträge – bis zu 300.000 € – in „Global Champion Zertifikate“ investiert. In den vorangegangenen Beratungsgesprächen zwischen den Anlegern und Mitarbeitern der beklagten Bank, deren Inhalt im Einzelnen streitig blieb, waren die Anleger nicht darüber aufgeklärt worden, dass die Bank von der Emittentin der Zertifikate eine Vertriebsprovision i. H. von 3,5% erhielt.

 Bei den streitbefangenen Zertifikaten handelte es sich um Inhaberschuldverschreibungen, die von der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V. emittiert worden waren. Die Rückzahlung der Zertifikate sollte abhängig von der Entwicklung dreier Aktienindizes – Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor’s 500, Nikkei 225 – während dreier aufeinanderfolgender Beobachtungszeiträume erfolgen. Als Garantin für die Rückzahlung der Zertifikate diente die US-amerikanische Muttergesellschaft der Emittentin, die Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc. Deren Insolvenz im September 2008 zog auch die Insolvenz der Emittentin und die weitgehende Wertlosigkeit der Zertifikate nach sich.

 In den vier ähnlich gelagerten Verfahren forderten die Kläger im Wesentlichen die Rückzahlung des Anlagebetrages abzüglich zwischenzeitlich erhaltener Bonuszahlungen. Die Vorinstanzen hatten den Anlegern weitgehend Recht gegeben. Mit den Urteilen vom 26. 6. 2012 hob der BGH die Berufungsurteile jeweils auf und verwies die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsgerichte zurück.

 Der XI. Zivilsenat des BGH konnte nach den getroffenen Feststellungen der Berufungsgerichte in allen vier Fällen keinen zum Schadensersatz verpflichtenden Beratungsfehler der Bank erkennen. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Bank das Geschäft als Festpreisgeschäft abgewickelt hat, als auch für den Fall eines Kommissionsgeschäfts. Für das Festpreisgeschäft hatte der BGH bereits mit Urteil vom 27. 9. 2011 – XI ZR 182/10, DB 2011 S. 2649 eine Aufklärungspflicht bzgl. der Gewinnspanne bzw. der Provisionen verneint. Diese Rechtsprechung wird nun fortgesetzt und auch auf das Kommissionsgeschäft übertragen.

 Zunächst geht der BGH auf das Festpreisgeschäft ein und führt aus, dass bei einem Festpreisgeschäft das eigene Gewinninteresse der Bank für den Anleger offenkundig sei. Die Bank müsse den Anleger aufgrund des konkludent mit dem Anleger geschlossenen Beratungsvertrages weder über ihre Gewinnmarge noch darüber aufklären, dass der Erwerb der Zertifikate im Wege eines Festpreisgeschäfts erfolge.

 Hiergegen mag eingewendet werden, dass ein Anleger zunächst einmal die Verkäuferrolle der Bank kennen muss, damit deren Gewinninteresse für ihn offenkundig ist. Diesen Vorwurf lässt der BGH indes nicht gelten. Denn die Offenkundigkeit der Gewinnerzielungsabsicht der Bank ergäbe sich aus einer typisierenden Betrachtungsweise. Bestehe hiernach in Bezug auf diesen Umstand bereits objektiv keine Schutzwürdigkeit des Kunden, so komme es auf den jeweiligen Wissensstand des konkreten Anlegers über die Verkäuferrolle der Bank im Einzelfall nicht an.

 Auch die Rechtsprechungsgrundsätze zu Rückvergütungen seien nicht sinngemäß anwendbar. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen sind gem. der Definition des BGH – regelmäßig umsatzabhängige – Provisionen, die im Gegensatz zu versteckten Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie z. B. Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren gezahlt werden, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt. Hierdurch kann beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen, er kann jedoch das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieses Produkts nicht erkennen. Da die hier vorliegenden Wertpapierabrechnungen neben den zu zahlenden Beträgen pro Zertifikat keine von den Klägern an die Emittentin zu entrichtenden und hinter dem Rücken der Kläger an die Bank zurückfließenden Posten auswies, fehle es bereits im Ausgangspunkt an dem für Rückvergütungen typischen Umstand, dass dem Anleger der tatsächliche Empfänger einer von ihm zu erbringenden Zahlung nicht offenbart werde.

 Auch sofern die Wertpapierkäufe nicht im Wege eines Festpreis-, sondern eines Kommissionsgeschäfts erfolgt waren, resultiere nicht bereits allein daraus eine Aufklärungspflicht der Bank über die von der Emittentin an sie gezahlte Provision. Denn wenn der Anleger – abweichend von der gesetzlichen Wertung des § 354 HGB – neben dem dem Nennwert entsprechenden Preis der Wertpapiere für deren Beschaffung weder eine Kommissionsgebühr noch sonstige Aufschläge an die Bank entrichten müsse, so stelle sich die Abwicklung des Geschäfts aus seiner Sicht wirtschaftlich betrachtet nicht anders dar als bei einem Eigengeschäft der Bank und müsse demnach ebenso wie dieses behandelt werden. Dafür spreche auch, dass es häufig dem Zufall überlassen sei, ob der Wertpapiererwerb im Wege eines Kommissionsgeschäfts oder Festpreis- bzw. Eigengeschäfts erfolge. Ob eine Aufklärungspflicht über die von der Emittentin erhaltene Provision im Rahmen des Kommissionsgeschäfts dann besteht, wenn der Anleger eine Kommissionsgebühr oder sonstige Aufschläge an die Bank zahlt, ließ der BGH dahinstehen, da derartige Zahlungen jedenfalls weder vorgetragen noch festgestellt worden waren.

 Auch das generelle, für jeden Anbieter wirtschaftlicher Leistungen am Markt typische Gewinnerzielungsinteresse einer Bank als solches begründe für sich genommen noch keine Aufklärungspflicht hinsichtlich der von der Emittentin an die Bank gezahlten Provision. Eine solche entstehe lediglich bei Hinzutreten besonderer Umstände, z. B. wenn die Bank bei einer Zinswette durch die Gestaltung der Zinsformel einen negativen Marktwert einpreist (wie bei dem CMS Spread Ladder Swap) oder im Fall von offen ausgewiesenen Provisionen verschwiegen wird, dass diese (oder Teile davon) an die beratende Bank zurückfließen.

 Zwar müsse nach ständiger Rechtsprechung des BGH in bestimmten Fällen auch über die Existenz und Höhe von Innenprovisionen aufgeklärt werden, weil sie Einfluss auf die Werthaltigkeit der Anlage haben und insoweit bei dem Anleger eine Fehlvorstellung hervorrufen können. Dies wird ab einer Größenordnung von 15% angenommen. In den vorliegenden Fällen habe jedoch die Vertriebsprovision i. H. von 3,5% keinen Einfluss auf den Wert der Zertifikate, denn die Rückzahlung der Zertifikate richtete sich – je nach Wertentwicklung der zugrundeliegenden Aktienindizes – nach dem Nominalbetrag der Zertifikate oder nach der Wertentwicklung der Indizes. Insofern dürfte es sich nach Ansicht des BGH schon definitorisch nicht um Innenprovisionen handeln.

 Die Urteile des BGH dürften bei den untergerichtlichen Instanzen nun endlich für etwas mehr Klarheit und eine einheitlichere Rechtsprechung sorgen. Die abweichenden Urteile der Berufungsgerichte machen deutlich, dass bei dem gesamten Themenkomplex „Provisionen“ – trotz einer Vielzahl von Urteilen – bisher keine dogmatisch klar nachvollziehbare Linie des BGH erkennbar war. Bzgl. des Zertifikatevertriebs dürfte das Thema „Provisionen und Aufklärungspflichtverletzung“ nun zugunsten der Banken abschließend geklärt sein.

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