Der BGH hat in der seit Jahrzehnten umstrittenen Frage der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern Klarheit geschaffen: Die Wiederbestellung des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft für höchstens fünf Jahre ist nach einvernehmlicher Amtsniederlegung auch früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer zulässig. Sie stellt auch dann keine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe vorliegen (BGH-Urteil vom 17. 7. 2012 – II ZR 55/11, DB 2012 S. 2036).
Der BGH hatte über die Klage des Aufsichtsratsmitglieds einer Aktiengesellschaft zu entscheiden, das die Feststellung der Nichtigkeit eines vor seinem Eintritt in den Aufsichtsrat gefassten Aufsichtsratsbeschlusses beantragte. Der Aufsichtsrat hatte am 6. 7. 2007 beschlossen, die Bestellung zweier Vorstandsmitglieder, die laut Aufsichtsratsbeschlüssen aus den Jahren 2005 und 2006 an sich erst am 21. 1. 2010 enden sollte, einvernehmlich aufzuheben und diese zugleich für die Dauer von fünf Jahren erneut zu Mitgliedern des Vorstands zu bestellen. Der Kläger meinte, der Aufsichtsrat habe damit gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG verstoßen, der die Verlängerung einer Bestellung nur im letzten Jahr der Amtszeit zulässt. Jedenfalls liege in der Beschlussfassung des Aufsichtsrats weit vor dem letzten Jahr der Amtszeit eine unzulässige Gesetzesumgehung.
Anders als das Berufungsgericht hält der BGH diese Vorgehensweise für zulässig. Zwar sei das Aufsichtsratsmitglied berechtigt, die Feststellung auch vor seinem Eintritt in den Aufsichtsrat gefasster Beschlüsse zu beantragen. Der Beschluss über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung und die gleichzeitige Wiederbestellung für fünf Jahre sei aber nicht wegen Verstoßes gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG nichtig. Nach § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG bedarf die wiederholte Bestellung oder die Verlängerung der Amtszeit eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann. Einen Verstoß gegen den Wortlaut der Vorschrift sieht der BGH nicht. Durch die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung habe die „bisherige Amtszeit“ der Vorstandsmitglieder geendet. Die vorzeitige Beendigung habe dazu geführt, dass die Beschlussfassung nicht früher als ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit erfolgt sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Vorstandsmitglieder die Ämter erst nach der Beschlussfassung des Aufsichtsrats niedergelegt hätten. Der Aufsichtsratsbeschluss habe erkennbar nur dann gelten sollen, wenn die Vorstandsmitglieder auch tatsächlich an einer einvernehmlichen Aufhebung der ursprünglichen Bestellungen mitwirken würden.
Auch eine unzulässige Umgehung des Verbots gem. § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG liege nicht vor. Diese in der Literatur weit verbreitete Auffassung sei abzulehnen (zum Meinungsstand vor dem Urteil: Fleischer, DB 2011 S. 861). Anders als von Ziff. 5. 1.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex vorausgesetzt, bedürfe es für die vorzeitige Wiederbestellung auch keiner „besonderen Gründe“. Diese Vorgehensweise widerspreche nicht dem Zweck der Rechtsnorm. Diese solle lediglich verhindern, dass die Aktiengesellschaft länger als fünf Jahre an ein Vorstandsmitglied gebunden werde und dadurch wirtschaftlich untragbare Belastungen entstehen könnten. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Bindung nach der vorzeitigen Aufhebung der Bestellungen lediglich für fünf Jahre eingegangen werde. Das Gesetz erlaube durch die Beschränkung der Verlängerung auf das letzte Jahr der Amtszeit sogar eine bis zu sechsjährige Bindung der Gesellschaft. Es sei dem Aufsichtsrat auch nicht untersagt, durch die vorzeitige Wiederbestellung einen künftigen Aufsichtsrat in anderer personeller Zusammensetzung für fünf Jahre an Vorstandsmitglieder zu binden. Dies werde vom Gesetz akzeptiert. Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch liegen nach Auffassung des BGH nicht vor.
Für die Praxis ist die Entscheidung von großer Bedeutung. Die vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern bei gleichzeitiger einvernehmlicher Amtsbeendigung wurde in vielen, auch durchaus prominenten Fällen praktiziert. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit war besonders für die betroffenen Vorstandsmitglieder erheblich. Im Fall einer nichtigen Bestellung kann der Aufsichtsrat die fehlerhafte Organstellung jederzeit durch einfachen Beschluss ohne wichtigen Grund beenden. Durch das Urteil des BGH eröffnen sich der Praxis nunmehr erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten. Dies wird besonders in den Fällen relevant, die Ziff. 5. 1.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex im Blick hat, namentlich bei einem Angebot von dritter Seite, der Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden oder grundlegenden Änderungen im Aktionärskreis. In solchen Fällen eröffnet das Urteil dem Aufsichtsrat die Möglichkeit, die Bestellperiode der Vorstandsmitglieder einvernehmlich im Unternehmensinteresse flexibel anzupassen.