Die Reform der Europäischen Insolvenzverordnung

RA Dr. Martin Prager, Partner, PLUTA Rechtsanwalts GmbH, München

Große Unternehmen wachsen international, aber wer ist eigentlich zuständig, wenn solche Firmen insolvent gehen, nach welchen Regeln wird das Verfahren abgewickelt und welche Befugnisse haben Insolvenzverwalter jenseits der Grenzen? Mit diesen Fragen kann man den Regelungsbereich der europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) gut beschreiben. Vor zehn Jahren, am 31. 5. 2002, ist die Verordnung in allen Ländern der EU – mit Ausnahme Dänemarks – in Kraft getreten. Damit wurden grenzüberschreitende Insolvenzen innerhalb der EU rechtlich geregelt. Nun geht es darum, die EUInsVO zu modernisieren, insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen in den vergangenen Jahren. Die EU-Kommission beabsichtigt bis zum Ende des Jahres einen Entwurf zur Reform der EuInsVO vorzulegen.

 

Die Fragen sind sehr vielschichtig und die Vielzahl der Vorschläge lässt erahnen, dass die Reform der europäischen Insolvenzverordnung eine große Aufgabe darstellt. Allein die Vorschläge von INSOL Europe umfassen deutlich mehr als 100 Seiten. Mit deren Änderungsvorschlägen befassten sich am 14. 9. 2012 in Leipzig zahlreiche Experten aus Praxis und Wirtschaft aus ganz Europa auf dem „Joint International Insolvency Seminar“, das INSOL Europe gemeinsam mit dem Ernst-Jaeger-Institut für Unternehmenssanierung und Insolvenzrecht der Leipziger Juristenfakultät abhielt. Ein kurzer Überblick:

Bei der Definition von Insolvenzverfahren soll das Erfordernis wegfallen, dass dem Schuldner die Verfügungsmacht über sein Vermögen entzogen oder beschränkt wird und dass ein Verwalter bestellt wird. Hiermit wären auch die deutsche Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren erfasst. Hinzugefügt werden soll, dass ein Gericht die Aufsicht über das Verfahren führen muss.

Auch das Thema dingliche Rechte und Eigentumsvorbehalt erscheint in der jetzigen Lösung in Art. 5 nicht ausgeglichen, da es in die jeweiligen nationalen Ausgleichssysteme eingreift, die die Nationalstaaten in den Insolvenzordnungen geregelt haben. Das würde zu einer Bevorzugung des gesicherten Gläubigers führen.

Eine große Bedeutung hat der sogenannte COMI, die Abkürzung für Center of Main Interest. Die Vorschrift findet sich in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Im ersten Satz wird bestimmt, dass für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Gebiet der Schuldner seinen COMI, d.h. den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen, hat.

Unter Insolvenzexperten ist der COMI seit vielen Jahren ein zentrales Thema. Generell gilt: der COMI soll nach objektiven und für Dritte leicht feststellbaren Kriterien bestimmt werden. Zu beachten sind hierbei mehrere Urteile des EuGH. Fraglich ist jedoch, ob die Definition des COMI derzeit zu offen formuliert ist und ob seine Präzisierung der Rechtsprechung überlassen werden soll.

Aktuell wird zudem diskutiert, den COMI mit einer Look-back-Periode auszugestalten und ihn damit für ein Jahr einzufrieren. Das bedeutet: die alte Zuständigkeit bleibt erhalten, wenn der COMI verlegt wird. Eine Ausnahme soll gelten, wenn alle Altgläubiger der Verlagerung zustimmen.

Zumindest in der Praxis hat sich aus meiner Sicht beim COMI bereits vieles geklärt: Verlagerungen, die es noch vor einigen Jahren gab, sind heute nicht mehr vorstellbar. Verfahren, in denen ein ausländisches Gericht das Insolvenzverfahren einer deutschen Firma bearbeitet, sind weitgehend Vergangenheit. Viel entscheidender ist die Regelung eines Konzern-COMI. Die Kernfrage lautet hier: welche Regelungen sollen gelten, wenn Gesellschaften insolvent gehen, die derselben Unternehmensgruppe angehören?

Auch weiterhin wird es als Grundsatz ein Insolvenzverfahren pro Gesellschaft geben. Als Normalfall wird deshalb die Koordination der jeweiligen Verfahren der einzelnen Konzerngesellschaften betrachtet, nur in Ausnahmefällen kommt wohl eine sog. substantive consolidation in Frage, also die insolvenzrechtliche Option der Konsolidierung verschiedener Verfahren, bei denen dann jeder Gläubiger die gleiche Konzernquote erhält. Das heißt die Koordination wird die Regel mit einem koordinierenden Gruppeninsolvenzverwalter, der auch den Vorschlag eines Gruppeninsolvenzplans vorlegen kann, der EU-Recht unterliegt. In der Praxis scheint die Kooperation in unterschiedlichen Verfahren derzeit allerdings noch nicht wirklich zu funktionieren. Eine klare Hierarchie erscheint nötig.

Hinzu kommen offene Themen, wie die exakte Definition von Konzerninsolvenzen, die als noch zu unklar empfunden wird. Eine wichtige Frage ist dabei, ob alle denkbaren Konzern-Formen erfasst sind, insbesondere wenn auch Gesellschaften außerhalb der EU betroffen sind. Hier wird es wohl keine Einheitslösung nach dem Motto „one size fits all“ geben können.

Wichtig bei Konzerninsolvenzen ist auch das Verhältnis von Haupt- und Sekundärverfahren. Der Vorschlag hierzu: Während des laufenden Betriebs soll der Hauptverwalter den Betrieb führen und der Sekundärverwalter stellt sicher, dass die Masse des Sekundärverfahrens nicht geschmälert wird.

Ein wichtiger Reformvorschlag sind auch die Sanierungspläne. Für einen European Restructuring Plan soll Voraussetzung sein, dass mindestens zwei verbundene EU-Gesellschaften betroffen sind. Ist dies der Fall, soll die Anwendung von Regeln erfolgen, die künftig in der EuInsVO stehen sollen, hilfsweise die Regeln, welche am Sitz des Insolvenzgerichts der Konzernobergesellschaft gelten. Die Mitgliedstaaten müssten die entsprechenden Umsetzungsregeln einführen.

Diese knappe Übersicht macht deutlich, dass bei der Reform zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen sind. Daran intensiv zu arbeiten, ist auf jeden Fall lohnenswert.

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