Das OLG Braunschweig hat durch Beschluss vom 14. 6. 2012 (Az. WS 44/12, 45/12) entschieden, dass sich der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft wegen Untreue strafbar machen kann, wenn er die Auszahlung einer Vergütung an die Aufsichtsratsmitglieder veranlasst oder duldet, die im Widerspruch zu der in der Satzung geregelten Vergütung steht. Die Aufsichtsratsmitglieder trifft dann auch in eigenen Vergütungsangelegenheiten eine Vermögensbetreuungspflicht.
Die Angeklagten waren nacheinander jeweils Vorsitzende des Aufsichtsrates, die übrige Zeit einfache Mitglieder. In der Satzung war geregelt, dass den Aufsichtsratsmitgliedern für die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen neben der fixen und variablen Vergütung u. a. ein Sitzungsgeld i. H. von 150 € pro Tag zu zahlen ist. Es hatte sich jedoch unter den Aufsichtsratsmitgliedern zur gängigen Praxis entwickelt, auf ihren halbjährlich eingereichten Abrechnungen auch sonstige Tätigkeiten wie Grundsteinlegungen, Anreisetage etc. anzugeben. Die Aufsichtsratsvorsitzenden gaben der für die Auszahlung zuständigen Mitarbeiterin der Gesellschaft gezielt Anweisungen, für welche dieser Termine ihnen selbst und den anderen Mitgliedern Sitzungsgeld gezahlt werden sollte.
Das Gericht sah dies als Untreue gegenüber der Gesellschaft an, da sie gegen ihre Pflicht verstoßen hatten, die Vermögensinteressen der Gesellschaft zu schützen. Den Angeschuldigten war bekannt, dass die Satzung eine derartige Vergütung ausdrücklich nur für Sitzungstage vorsah und alles andere im Widerspruch zur Satzung stand. Sie verschafften dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch den anderen Aufsichtsratsmitgliedern Vermögensvorteile.
Die Angeschuldigten haben sich nach Auffassung des Gerichts nicht nur durch die Auszahlung einer überhöhten Vergütung an sich selbst strafbar gemacht, sondern auch dadurch, dass sie die jeweiligen Auszahlungen an die weiteren Aufsichtsratsmitglieder beeinflusst, zumindest aber nicht verhindert haben. Sobald es Kenntnis von rechtswidrigen Handlungen erlangt, ist jedes Aufsichtsratsmitglied im Rahmen seiner Überwachungspflicht verpflichtet, alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um den Schaden abzuwenden. Andernfalls kann es sich wegen Unterlassen strafbar machen. Die Aufsichtsratsmitglieder hätten auf eine Einberufung des Aufsichtsrats hinwirken müssen, um den Vorstand über einen Aufsichtsratsbeschluss dazu zu bewegen, gegen die rechtswidrige Abrechnungspraxis vorzugehen.
Das LG hatte zunächst – basierend auf den Ausführungen des BGH im Fall Mannesmann – eine Vermögensbetreuungspflicht der Aufsichtsratsmitglieder abgelehnt, soweit es um Entscheidungen geht, die ihre eigenen Bezüge betreffen. Das OLG sah vorliegend aber keinen vergleichbaren Interessenkonflikt, da es nicht um das Aushandeln einer unangemessen hohen Vergütung ging. Vielmehr war in der Satzung bereits ausdrücklich eine angemessene Vergütung geregelt, es ging bloß um die rechtswidrige Umsetzung dessen. Die Satzung selbst lasse diesbezüglich keinen Handlungsspielraum zu. Sitzungsgeld sei – auch aus Laiensicht – unmissverständlich nur für die Teilnahme an Sitzungen zu zahlen. Da ein Aufsichtsratsmitglied die Satzung der Gesellschaft grundsätzlich kenne, weil diese die grundlegenden Regelungen für seine Aufsichtsratstätigkeit enthalte, ging das Gericht von Vorsatz der Angeklagten aus.
Das Gericht hielt es für unerheblich, dass es sich um eine langjährige Abrechnungspraxis gehandelt habe und die Termine im Unternehmensinteresse wahrgenommen wurden. Diese Umstände seien lediglich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, hätten aber keinen Einfluss auf die Strafbarkeit der Angeschuldigten.
Dieser Fall zeigt, wie gefährlich eine lockere Handhabung des Sitzungsgeldes für Aufsichtsratsmitglieder sein kann. Betroffen sind hiervon nicht nur die Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern auch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder, die vorliegend in gesonderten Verfahren strafrechtlich verfolgt werden.
Den drohenden Konsequenzen dürften sich die Aufsichtsräte häufig selbst nicht bewusst sein, wenn sich eine solche satzungswidrige Abrechnungspraxis erst einmal eingebürgert hat, zumal es beim Sitzungsgeld um vergleichsweise kleine Beträge geht. Die vermeintlich zulässige entsprechende Anwendung des Sitzungsgeldes auf sonstige Termine kann daher schon eine Straftat sein, wenn die Satzung eine solche Ausdehnung nicht zulässt. Es empfiehlt sich daher, einen genauen Blick in die Satzung zu werfen und diese bei einer abschließenden Formulierung wörtlich zu nehmen. Wird eine weitere Vergütung von Tätigkeiten gewünscht, sollte dies vorher durch eine Satzungsänderung legalisiert werden.
Welches OLG hat entschieden?