Zur Erleichterung von Konzernverschmelzungen wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes die Vorschrift des § 62 Abs. 5 UmwG (verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out) geschaffen (vgl. dazu auch Bungert/Wettich, DB 2011 S. 1500). Aufgrund dieser Regelung können Minderheitsaktionäre bereits ab einer Beteiligungsquote von 90% ausgeschlossen werden, während die §§ 327a ff. AktG, 39a ff. WpÜG eine Beteiligung i. H. von 95% voraussetzen. Hauptaktionär kann allerdings nur eine AG, KGaA oder SE sein. Des Weiteren ist das Ausschlussverfahren nur zulässig, wenn es im Zusammenhang mit der Verschmelzung der Tochtergesellschaft auf den Hauptaktionär (upstream merger) erfolgt.
Die Möglichkeit, Aktionäre bereits ab einem Quorum von 90% ausschließen zu können, ist (abgesehen vom für den Finanzsektor geltenden Sonderfall des § 12 Abs. 3 Nr. 1 Satz 3, Abs. 4 FMStBG) ein Novum im deutschen Recht. Umso bedeutsamer ist es, dass nun das OLG Hamburg mit Beschluss vom 14. 6. 2012 – 11 AktG 1/12 entschieden hat, dass ein zum Zwecke des verschmelzungsrechtlichen Squeeze-Out durchgeführter Formwechsel der Muttergesellschaft von einer GmbH in eine AG nicht rechtsmissbräuchlich ist, und dass die neue Quorumsregelung von 90% verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Eine Holding GmbH („Hauptaktionär“) hielt 93,95% des Grundkapitals an einer börsennotierten Aktiengesellschaft („Tochtergesellschaft“). Der Hauptaktionär vollzog einen Formwechsel in eine Aktiengesellschaft, um anschließend einen Verschmelzungsvertrag mit der Tochtergesellschaft abzuschließen, in welchem die Verschmelzung auf den Hauptaktionär sowie die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der Tochtergesellschaft gegen Abfindung vereinbart wurde. Der Squeeze-out wurde sodann von der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft beschlossen, woraufhin eine Minderheitsaktionärin Nichtigkeits- und Anfechtungsklage gegen den Übertragungsbeschluss erhob, da sie der Auffassung war, dass das in § 62 Abs. 5 UmwG vorgesehene 90%-Quorum verfassungswidrig und der Formwechsel in eine AG zum Zwecke des Squeeze-out rechtsmissbräuchlich sei. Im Rahmen eines Freigabeverfahrens entschied das OLG Hamburg, dass die von der Minderheitsaktionärin erhobene Klage offensichtlich unbegründet sei.
Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nur das Quorum von 95% aus §§ 327a AktG, 39a WpÜG für verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden erklärt (1 BvR 390/04, DB 2007 S. 1577). Entscheidend ist, ob die Beteiligung eines Aktionärs eine unternehmerische Beteiligung oder primär eine Kapitalanlage ist. Aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Mitgliedschaft stehen einem Aktionär nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen und der Satzung der Gesellschaft Leitungsbefugnisse und Vermögensrechte zu. Diesbezüglich kann der Gesetzgeber das Mitgliedschaftsinteresse umso geringer bewerten, je geringer der gehaltene Anteil ist. Relevanten Einfluss auf die Unternehmenspolitik können Minderheitsaktionär i.d.R. nicht ausüben, für sie stelle die Aktie eher eine Kapitalanlage dar, sodass dem Gesetzgeber nicht verwehrt sei, die Schutzvorkehrungen auf die vermögensrechtliche Komponente der Mitgliedschaft – in Form einer angemessenen Abfindung – zu konzentrieren.
Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts überträgt das OLG Hamburg auch auf das 90%-Quorum des § 62 Abs. 5 UmwG. Zwar gibt es eine Vielzahl von Minderheitenrechte, die an eine Beteiligungsquote von 10% anknüpfen (vgl. etwa §§ 120 Abs. 1 Satz 2, 137, 138 Satz 3 AktG). Diese Rechte gewähren allerdings keine wesentlichen Leitungsbefugnisse. Die aus einem 10%-Anteil resultierenden Rechte unterscheiden sich somit bezüglich der Einwirkungsmöglichkeiten auf die Unternehmensführung nicht wesentlich von Rechten aus einem 5%-Anteil. In beiden Fällen besteht hingegen ein anzuerkennendes Interesse des Großaktionärs an einer Vereinfachung der Unternehmensleitung. Das Vermögensinteresse des Minderheitsaktionärs wird hinreichend durch die Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Abfindung geschützt.
Zu Recht führt das OLG weiterhin aus, dass der zum Zwecke des Squeeze-Out durchgeführte Formwechsel des Hauptaktionärs nicht rechtsmissbräuchlich war. Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber keine Anforderungen an die Art und Weise der Entstehung der übernehmenden Gesellschaft gestellt hat. Mit Wirksamwerden des Formwechsels entstehe daher eine vollwertige Aktiengesellschaft, der der Zugang zur Konzernverschmelzung eröffnet sei. Auch die Rechtsprechung des BGH (II ZR 302/06, DB 2009 S. 1004 – Wertpapierleihe), wonach im Rahmen des aktienrechtlichen Squeeze-out eine formale Betrachtung geboten sei, spreche gegen die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Formwechsels. Zudem können Minderheitsaktionäre ohnehin keinen Einfluss auf die Rechtsform des Hauptaktionärs nehmen. Ist der Minderheitsaktionär von Anfang an Minderheitsaktionär, so drohe ihm stets die Gefahr eines Squeeze-Out. Etwas anderes könnte sich ergeben, wenn statt der übernehmenden Gesellschaft die übertragende Gesellschaft umgewandelt würde, was im vorliegenden Fall jedoch nicht zu entscheiden war.
Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie Rechtssicherheit für die Durchführung eines verschmelzungsrechtlichen Squeeze-Out schafft. Insofern trägt die Entscheidung dazu bei, den verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out als Gestaltungsoption zur Bereinigung von Konzernstrukturen zu etablieren.