Die Behandlung von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung betrieblicher Schwellenwerte beschäftigt erneut die Arbeitsgerichte. Nach § 7 Satz 2 BetrVG sind zur Arbeitsleistung überlassene Arbeitnehmer bei einer Einsatzdauer von mehr als drei Monaten wahlberechtigt, werden dadurch aber nicht zu Arbeitnehmern. Das ist allseits bekannt. Das BAG hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass Leiharbeitnehmer bei einer Überlassungsdauer von mehr als drei Monaten bei der Ermittlung des Schwellenwerts zur Sozialplanpflichtigkeit mitzuzählen seien. Begründet hat das BAG dies mit Sinn und Zweck des Schwellenwerts nach § 111 BetrVG, kleinere Unternehmen vor einer Überforderung durch Sozialplanleistungen zu schützen.
Gestützt auf diese Entscheidung hat das ArbG Offenbach mit seinem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 22. 8. 2012 – 10 BV 6/11 nunmehr Leiharbeitnehmer auch im Rahmen des Schwellenwerts nach § 9 MitbestG berücksichtigt. Nach dieser Vorschrift werden in Unternehmen mit „i. d. R. mehr als 8.000 Arbeitnehmern“ die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch Delegierte gewählt. Daher wies das Arbeitsgericht Offenbach das Ansinnen einiger Arbeitnehmer zurück, die den Hauptwahlvorstand verpflichten wollten, eine unmittelbare Wahl durchzuführen.
Mit der Begründung des ArbG Offenbach wären die Leiharbeitnehmer auch bei der Ermittlung des Schwellenwerts nach § 1 MitbestG zu berücksichtigen. Das hätte zur Folge, dass Gesellschaften, die eine größere Anzahl von Leiharbeitnehmern beschäftigen, schneller in den Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes hineinfallen würden. Wenn diese Auffassung bekannt wird, ist mit zahlreichen Statusverfahren nach § 98 AktG von Seiten der Betriebsräte und Gewerkschaften zu rechnen mit dem Ziel, Aufsichtsräte nach dem MitbestG zu bilden.
Die Entscheidung überzeugt nicht. Der Verweis auf die BAG-Entscheidung aus dem Jahr 2011 trägt nicht, da die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern gerade mit einem völlig anderen Zweck des Schwellenwerts nach § 111 BetrVG begründet wurde. Nach allgemeiner Auffassung ergib sich aus der Systematik von § 7 BetrVG, dass Leiharbeitnehmer keine Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs sind, selbst wenn sie wahlberechtigt sind („wählen, aber nicht zählen“).
Das ArbG Offenbach hätte sich auf eine ältere BAG-Entscheidung von 1961 stützen können, wonach es nicht auf die Anzahl der Arbeitnehmer, sondern auf die der regelmäßig besetzten Arbeitsplätze ankomme. Auf Basis dieser abzulehnenden Auffassung wären Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen mitzuzählen.
Die Zivilgerichte haben die gleiche Frage in den letzten Jahren im Übrigen anders entschieden. So hat das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 12. 5. 2004 – 19 W 2/04 festgestellt, dass in den Schwellenwert zur Anwendbarkeit der damaligen §§ 76, 77, 77a BetrVG 1952 (heute Drittelbeteiligungsgesetz) Leiharbeitnehmer nicht einzubeziehen seien, da sie nicht Betriebsangehörige des Entleiherbetriebs seien. Die Einräumung des aktiven Wahlrechts durch § 7 Abs. 2 BetrVG und ihre tatsächliche Eingliederung in den Betrieb führe nicht zur Betriebsangehörigkeit, weil es bei Leiharbeitnehmern an der typischen mitbestimmungsrelevanten Betroffenheit ihrer Interessen durch unternehmerische Entscheidungen des Entleiherbetriebes fehle. Für das Drittelbeteiligungsgesetz hat das OLG Hamburg in einem Beschluss vom 29. 10. 2007 – 11 W 27/07, DB 2007 S. 2762 die gleiche Auffassung vertreten. Das Gericht verweist dort u. a. auf die Gesetzesbegründung bei der Einführung des aktiven Wahlrechts für Leiharbeitnehmer. Dort wird hervorgehoben, dass die Leiharbeitnehmer nicht „in rechtlich unzutreffender Weise als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebes einzustufen“ seien. Daraus sei zu schließen, dass der Schutz der Leiharbeitnehmer durch den Gleichlauf im Hinblick auf die Bezahlung und die sonstigen eingeräumten Rechte in § 7 Satz 2 BetrVG und § 14 AÜG als ausreichend gewährleistet angesehen worden sei.
Da die Erzwingung eines mitbestimmten Aufsichtsrates nur über ein Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG möglich ist und im Streitfall das LG entscheidet, wird die Auffassung des Arbeitsgerichts Offenbach hoffentlich eine Einzelmeinung bleiben.