Der Gesetzgeber muss die Abgeltungsteuer zu Ende denken!

Die Abgeltungsteuer vereinfacht zwar die Steuererhebung, nicht aber die Abwicklung streitiger Verfahren – und von diesen gibt es immer noch (zu) viele.

Die mit dem UntStRefG 2008 eingeführte und seit 2009 geltende Abgeltungsteuer hat von juristischer wie ökonomischer Seite Lob wie Kritik erfahren. Vernachlässigt wurde aber bisher die Frage, ob das vom Gesetzgeber mit der Abgeltungsteuer verfolgte Ziel, nämlich die Kapitalertragsteuer effizienter zu erheben, erreicht wurde.

Die Effizienz bei der Erhebung der Kapitalertragsteuer wurde vordergründig zwar zweifellos verbessert; doch auf den zweiten Blick zeigt sich, dass ein zentrales Problem der Besteuerung der Kapitalerträge nicht gelöst wurde: die vielen finanzgerichtlichen Verfahren, die nach wie vor im Zusammenhang mit Kapitalerträgen entstehen. Ursache ist teilweise die mangelhafte Abstimmung des Steuer- auf das Gesellschaftsrecht, teilweise liegen sie aber auch in Abzugsbeschränkungen begründet. Diese Verfahren führen nach wie vor zu erheblichem Arbeits- und Verwaltungsaufwand – sowohl bei den Steuerpflichtigen als auch bei den Finanzämtern. Sie konterkarieren Sinn und Zweck der Abgeltungsteuer.

Genannt seien hier beispielhaft zwei – laufende – Verfahren:

·         Vor dem FG Münster ist ein Verfahren (Az. 6 K 607/11 F) zur Verfassungsmäßigkeit des Verbots des Werbungskostenabzugs anhängig. Es dürfte zudem nur eine Frage der Zeit sein, bis die Zulässigkeit des Verlustverrechnungsverbots des § 20 Abs. 6 S. 5 EStG, das die Verrechnung von Aktienkursverlusten mit Dividenden und anderen Kapitalerträgen verbietet, Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen wird.

·         Bis heute beschäftigt die Finanzgerichte der Spin-Off der Kraft-Foods Inc. vom amerika­nischen Altria-Konzern (FG Rheinland Pfalz, Urt. v. 24.9.2007 – 5 K 1484/07, DStRE 2008, 1129 [besprochen von Henrichs in BB 2011, 2529]; aufgehoben und zurückverwiesen durch BFH, Urt. v. 20.10.2010 – I R 117/08, DStRE 2011, 412; jetzt beim FG Rheinland-Pfalz geführt unter 5 K 1227/11). Es geht um die Frage, ob es sich dabei nach deutschem Steuerrecht um eine steuerfreie Kapital­rückzahlung oder um einen steuer­pflichtigen Kapitalertrag handelt. Vergleichbare Fragen tauchen bei vielen aus­län­dischen Aktien auf, die von deutschen Steuerpflichtigen in ihren Depots gehalten werden.

Das Problem ist, dass von diesen Fällen viele Steuerpflichtige betroffen sind, sodass bei ihnen – ent­gegen der Vorstellung des Gesetzgebers – eben doch wieder eine Veranlagung der Kapitalerträge im Rahmen der Einkommensteuererklärung nötig wird.

Das aber müsste nicht sein. Denn es wäre für den Gesetzgeber durchaus möglich, eine gesetzliche Regelung vorzusehen, die eine automatisierte Rückerstattung ggf. zu viel bezahlter Steuern ermöglicht. Das heißt: Steuerpflichtigen wird nach erfolgreichen (Muster-) Klageverfahren die Steuer zurückerstattet, auch wenn sie selbst keinen Widerspruch eingelegt bzw. geklagt haben. Die Banken, die ja ohnehin in den meisten Fällen den Kapitalertragsteuerabzug abwickeln, könnten betroffene Wertpapierdepots bei Rechtshängigkeit eines relevanten Verfahrens „kennzeichnen“ und bei erfolgreichem Ausgang des Verfahrens die rechtsgrundlos einbehaltene Steuer unmittelbar erstatten. Die Abwicklung von Spruchverfahren im Rahmen der §§ 304, 305 AktG kann insoweit als Vorbild dienen.

Eine entsprechende Ergänzung des EStG wurde kürzlich von Hirte und Mertz in DStR 2013, 331 ff. vorgeschlagen; sie könnte etwa wie folgt lauten:

§ 44c EStG: Automatisierte Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Kapitalertragsteuer

(1) Für Kapitalertragsteuer, dieeinem nach Absatz 2 rechtsgrundlosen Steuerabzug unterlegen hat,erfolgt ein Erstattungsverfahren von Gesetzes wegen.Die Stelle, die nach § 44 Abs. 1 die Kapitalertragsteuer entrichtet hat, ist berechtigt, von ihrem zuständigen Finanzamt die Erstattung der Kapitalertragsteuer in entsprechender Höhe zu fordern; sie ist verpflichtet, dem Gläubiger der Kapitalerträge die zu erstattende Kapitalertragsteuer unverzüglich gutzuschreiben oder auszuzahlen.

(2) Die Kapitalertragsteuer wurde, soweit die Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 S. 1 eingetreten ist, auch dann ohne rechtlichen Grund i.S.d. § 37 Abs. 2 entrichtet, wenn nach ihrer Abführung durch die nach § 44 Abs. 1 zum Steuerabzug verpflichtete Stelle ein deutsches Finanzgericht oder das Bundesverfassungsgericht rechtskräftig entschieden hat, dass ihre Abführung rechtsgrundlos erfolgte.

(3) Ein Ablauf der Festsetzungsfrist der Kapitalertragsteuer sowie die Bestandskraft eines Steuerbescheids, der Bindungswirkung auch für Kapitalerträge nach § 43 Abs. 5 entfaltet, hindern die Erstattung der Kapitalertragsteuer nach Absatz 1 nicht. Entsprechendes gilt für die Steueranmeldung gemäß § 45a durch die nach § 44 Abs. 1 zum Steuerabzug verpflichtete Stelle.

(4) Die Steuererstattung ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 oder Abs. 3 verlangt hat oder eine Veranlagung der Kapitalerträge im Rahmen der Einkommensteuererklärung anderweitig erfolgt ist.

Eine solche Vorgehensweise wäre nicht nur für die Steuerpflichtigen, sondern durchaus auch für die Finanzverwaltung „lukrativ“. Wie eine repräsentative Studie im Jahr 2011 gezeigt hat, greift ein ganz erheblicher Teil (32 %) der Einkommensteuerpflichtigen auf die Hilfe eines Steuerberaters zurück. Und dieser wird in den meisten Fällen ohnehin zunächst die Günstigerprüfung beantragen und dann im Rahmen des Einspruchsverfahrens auf ein Ruhen des Verfahrens hinwirken, wenn entsprechende (Muster‑)Klageverfahren anhängig sind. Nicht einmal das mögliche Kalkül des Gesetzgebers, auf die Unwissenheit der Steuerpflichtigen zu setzen, geht also auf.

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