Kein zivilrechtlicher Individualanspruch im Übernahmefall

Wer 30% der Aktien einer börsennotierten AG erwirbt, muss den übrigen Aktionären ein entsprechendes Angebot machen. So lautet die in § 35 WpÜG enthaltene Grundregel. Aber wenn kein Angebot ausgelegt wird? Kann dann der Kontrollinhaber einfach auf Abnahme der Aktien verklagt werden? Über diese umstrittene Rechtsfrage hatte der BGH am 11.6.2013 zu befinden (II ZR 80⁄12). Der II. Zivilsenat verneinte. § 35 WpÜG enthält keinen zivilrechtlichen Individualanspruch der übrigen Aktionäre. Schon nach dem Wortlaut ist der Kontrollinhaber nicht unmittelbar zum Ankauf, sondern zur Übermittlung einer „Angebotsunterlage“ an die BaFin und deren Veröffentlichung verpflichtet. Wenn dieses Verfahren nicht eingehalten wird, verliert der Kontrollinhaber seine „Rechte aus Aktien“ (§ 59 WpÜG) und ihm droht ein Bußgeld der Behörde.

Man mag die geschilderte Regelung für ungenügend halten, auch weil die BaFin nach herrschender Meinung nicht gerichtlich zum Einschreiten gezwungen werden kann (nach § 4 II WpÜG nimmt sie ihre Aufgaben „nur im öffentlichen Interesse wahr“). Ein Ausscheiden aus der kontrollierten AG durch Aktienverkauf an den Kontrolleur ist demnach nicht gewährleistet. Dieser Folge ist aber nicht dadurch zu entgehen, dass im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ein zivilrechtlicher Anspruch dekretiert wird. Abgesehen davon, dass eine solche Rechtsfortbildung gegen das Gesetz auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, wäre der Anspruch auch nicht systemstimmig. Denn es käme zu einem Windhundrennen der außenstehenden Aktionäre im Bestreben, möglichst als erste verkaufen zu können. Die Gleichbehandlung der außenstehenden Aktionäre wäre ersichtlich gefährdet. Gerade diese Gleichbehandlung durch das eigenartige Verfahren (Angebotsunterlage, Transparenzgebote, Preisbemessung, Fristen, BaFin-Kontrolle) ist der Sinn und Zweck der komplexen WpÜG-Vorschriften.

Das Urteil des BGH, mit dem er die Revision gegen ein Urteil des OLG Köln zurückweist, ist eine der wenigen Entscheidungen, die der Gerichtshof zum WpÜG fällen konnte. Umso erfreulicher ist es, dass der Senat die Gelegenheit nutzt, klare Leitlinien zur Auslegung des § 35 WpÜG (und des § 38 WpÜG: kein selbständiger Zinsanspruch) zu entwickeln. Für die Praxis ist damit eine in der Fachliteratur sehr umstrittene Streitfrage zunächst erledigt. Die Urteilsgründe sind ab Mitte Juli zur Veröffentlichung zu erwarten.

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