Europäische Kommission veröffentlicht Vorschläge zu kartellrechtlichen Schadensersatzklagen

Philipp Werner, Partner, McDermott Will & Emery

RA Philipp Werner, Partner, McDermott Will & Emery

Die EU-Kommission hat am 11. 6. 2013 ihr lang erwartetes Vorschlagspaket zu kartellrechtlichen Schadensersatzklagen vor nationalen Gerichten veröffentlicht. Das Paket besteht aus einem Richtlinienvorschlag zu Schadensersatzklagen sowie jeweils dem Entwurf einer Empfehlung zu kollektiven Rechtschutzverfahren und einer Empfehlung zur Ermittlung des Schadensumfangs.

Derzeit sind insbesondere vor nationalen Gerichten in Deutschland und Großbritannien zahlreiche kartellrechtliche Schadensersatzklagen anhängig, die auf Basis der geltenden nationalen Regeln entschieden werden. Die Geschädigten können dementsprechend nicht auf einheitliche Regelungen vertrauen, da zwischen den einzelstaatlichen Regelungen der Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen.

Schadensersatzklagen

Die Offenlegung von Beweismitteln war in der Vergangenheit einer der Hauptstreitpunkte in Schadensersatzklagen vor nationalen Gerichten und hat auch die Europäischen Gerichte beschäftigt. Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission schafft in diesem Bereich eine einheitliche Regelung. Die nationalen Gerichte sollen die Befugnis erhalten, bei Schadensersatzklagen die Offenlegung von Beweismitteln durch die Beklagten oder Dritte (wie Wettbewerbsbehörden einschließlich der EU-Kommission) anzuordnen. Die angeordnete Offenlegung muss jedoch verhältnismäßig sein.

Im Hinblick auf die Offenlegung von Beweismitteln aus den Akten einer Wettbewerbsbehörde unterscheidet der Richtlinienvorschlag drei Kategorien von Dokumenten: (i) die Offenlegung von Kronzeugenunternehmenserklärungen und Vergleichsausführungen kann zu keinem Zeitpunkt angeordnet werden; (ii) Informationen, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden, und Informationen, die von einer Wettbewerbsbehörde im Laufe ihres Verfahrens erstellt wurden, können erst nach Abschluss des Verfahrens offengelegt werden; (iii) die Offenlegung aller sonstigen Beweismittel in den Akten einer Wettbewerbsbehörde kann in Schadensersatzklageverfahren jederzeit angeordnet werden.

Es bleibt abzuwarten, ob dieser Richtlinienvorschlag im Einklang mit dem kürzlich ergangenen Urteil des Gerichtshofs in Donau Chemie (C-536/11) steht, in dem der Gerichtshof feststellte, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts, welche de facto die Akteneinsicht in Wettbewerbsverfahren generell beschränkt, mit dem EU-Recht unvereinbar ist. Der Gerichtshof scheint nahezulegen, dass das nationale Gericht für jedes einzelne Dokument eine Abwägung zwischen dem Recht auf Schadensersatz und dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Integrität einer Kronzeugenregelung durchführen muss, bevor es über die Anordnung der Offenlegung entscheidet.

Neben den Regelungen zur Offenlegung von Beweismitteln harmonisiert der Richtlinienvorschlag die Vorschriften über die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die Verjährungsfrist mindestens fünf Jahre beträgt. Die Verjährungsfrist beginnt zu laufen, sobald der Geschädigte von Folgendem Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen sollen: (i) dem Verhalten, das die Zuwiderhandlung darstellt, (ii) der Einstufung dieses Verhaltens als Zuwiderhandlung, (iii) der Tatsache, dass ihm durch die Zuwiderhandlung Schaden entstanden ist, (iv) der Identität des Rechtsverletzers. In der Praxis wird die Verjährungsfrist bei follow-on-Schadensersatzklagen zu laufen beginnen, sobald die Wettbewerbsbehörde eine abschließende Entscheidung zum Kartellrechtsverstoß getroffen hat. Bei stand-alone-Schadensersatzklagen wird der Beginn der Verjährungsfrist schwieriger zu bestimmen sein.

Weitere Regelungen des Richtlinienvorschlags betreffen die gesamtschuldnerische Haftung für den durch die Zuwiderhandlung verursachten Schaden, die Schadensabwälzung und die Ermittlung des Schadensumfangs.

Kollektive Rechtsschutzverfahren

Der Vorschlag der EU-Kommission beinhaltet den Entwurf einer Empfehlung zu kollektiven Rechtsschutzverfahren. Dieser wird von verschiedenen Dienststellen der EU-Kommission gemeinsam getragen und soll dementsprechend nicht nur für Kollektivklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht gelten, sondern für alle Bereiche, in denen das EU-Recht den Bürgern und Unternehmen Rechte gewährt. Dabei ist zu beachten, dass die Empfehlung nicht zu einer Harmonisierung der Systeme der Mitgliedstaaten führt und die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, die Möglichkeit der Kollektivklage einzuführen.

Die EU-Kommission empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten über ein System des kollektiven Rechtsschutzes verfügen, das es Privatpersonen und Organisationen ermöglicht, eine richterliche Entscheidung zur Abstellung der Verletzung ihrer durch EU-Recht garantierten Rechte zu beantragen (Unterlassungsklage) und Ersatz für den durch diese Zuwiderhandlungen verursachten Schaden zu verlangen (Schadensersatzklage).

Dabei sieht der Entwurf der Empfehlung jedoch eine Reihe von Verfahrensgarantien vor, mit denen sichergestellt werden soll, dass kein Anreiz für einen Missbrauch des kollektiven Rechtsschutzes besteht.

Ermittlung des Umfangs des kartellrechtlichen Schadens

Der Entwurf der Mitteilung über die Ermittlung des Umfangs des kartellrechtlichen Schadens sowie der dazugehörige praktische Leitfaden soll den nationalen Gerichten sowie den Parteien von Schadensersatzklagen und deren Rechtsanwälten eine Orientierungshilfe an die Hand geben. Die Dokumente sind rechtlich nicht verbindlich.

Inkrafttreten

Sobald der Richtlinienvorschlag verabschiedet ist, müssen die Mitgliedstaaten die Regelungen in nationales Recht umsetzen. Der aktuelle Entwurf sieht eine Umsetzungsfrist von zwei Jahren vor. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Richtlinienvorschlag nicht vor dem Jahr 2016 bindende Wirkung für nationale Gerichte entfalten wird. In der Zwischenzeit werden die kartellrechtlichen Schadensersatzklagen vor den einzelstaatlichen Gerichten auf Basis der derzeit gültigen nationalen Regelung weitergehen.

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