Der Rat der Europäischen Union hat am 23. 7. 2013 Änderungen der Verfahrensverordnung (VerfVO) verabschiedet, welche die Vorschriften für die Durchführung von Beihilfeuntersuchungen in der EU regeln. Alle Unternehmen – auch solche, die selbst nicht von staatlichen Beihilfen profitieren – sollten sich dieser Änderungen bewusst sein, insbesondere da der Text in Kürze in Kraft treten wird und Bußgelder vorsieht. Die bedeutsamsten Änderungen werden nachfolgend zusammengefasst.
Auskunftsersuchen in Beihilfeuntersuchungen
Die Gewährung von staatlichen Beihilfen an öffentliche oder private Unternehmen ist in der EU verboten, solange die Beihilfe nicht von der Europäischen Kommission (Kommission) genehmigt wurde. Die Kommission kann auf eigene Initiative oder auf Basis einer Notifizierung durch den beihilfegewährenden Mitgliedstaat oder einer Beschwerde eine Beihilfeuntersuchung einleiten.
In der Vergangenheit war der betroffene Mitgliedstaat die wesentliche Informationsquelle. Die Kommission hatte keine Möglichkeit, Informationen von Dritten – inklusive des Begünstigten – abzufragen. Die Kommission musste ihre Entscheidung auf vom betroffenen Mitgliedstaat vorgetragene oder öffentlich verfügbare Informationen stützen. Die überarbeitete VerfVO sieht nun erstmals vor, dass die Kommission nach Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens Informationen von Dritten, wie z. B. anderen Mitgliedstaaten, öffentlichen oder privaten Unternehmen oder Verbänden verlangen kann. Lediglich für Auskunftsersuchen an den Begünstigten benötigt die Kommission die Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates.
Die angeschriebenen Unternehmen sind zur Beantwortung des Auskunftsersuchens der Kommission verpflichtet. Ansonsten drohen Bußgelder von bis zu 1% des gesamten Vorjahresumsatzes für falsche, irreführende oder unvollständige Informationen bzw. Zwangsgelder von bis zu 5% des durchschnittlichen täglichen Vorjahresumsatzes für jeden Werktag ab Verstreichen der Antwortfrist.
Die neuen Befugnisse der Kommission werden vielfältige Konsequenzen haben. Die Kommission wird nicht mehr allein auf die vom betroffenen Mitgliedstaat zur Verfügung gestellten Informationen angewiesen sein. Damit werden die Mitgliedstaaten weniger Einfluss auf das Beihilfeverfahren haben, da sie die Auswahl der Informationen nicht länger kontrollieren können. Öffentliche und private Unternehmen sind mit dem Verwaltungsaufwand konfrontieret, den ein Auskunftsersuchen der Kommission mit sich bringt, selbst wenn sie selbst nicht von Beihilfen profitieren. Für eine falsche, irreführende oder unvollständige Beantwortung bzw. für Nichtbeantwortung der Fragen drohen Bußgelder. Die Unternehmen könnten zur Übermittlung von Informationen gezwungen sein, die darauf schließen lassen, dass das auskunftsgebende Unternehmen selbst Beihilfen erhalten hat. Auf dieser Basis könnte die Kommission möglicherweise sogar ein eigenständiges Beihilfeverfahren gegen das auskunftsgebende Unternehmen einleiten.
Die Kommission kann unmittelbar nach Inkrafttreten der geänderten VerfVO von ihren Kompetenzen Gebrauch machen, d. h. 20 Tage nach der noch ausstehenden Veröffentlichung im Amtsblatt der EU.
Sektoruntersuchungen
Nach der geänderten VerfVO hat die Kommission die Möglichkeit, einen Sektor als solchen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu untersuchen. Solche Sektoruntersuchungen sind im Kartellrecht bereits möglich und sollen der Kommission nun auch im Beihilferecht bei der Bewertung von einzelnen Fällen und der Formulierung von sektorspezifischen Leitlinien helfen.
Restriktiverer Ansatz im Umgang mit Beschwerden
Derzeit ist die Kommission verpflichtet, allen Beschwerden nachzugehen und die so initiierten Verfahren mit einer formellen Entscheidung abzuschließen, selbst wenn die Beschwerde tatsächlich oder rechtlich nicht begründet ist. Um die Anzahl unbegründeter Beschwerden und damit den Verwaltungsaufwand der Kommission zu reduzieren, führt die überarbeitete VerfVO ein Beschwerdeformular ein, mit dem der Beschwerdeführer verpflichtet wird, bestimmte Informationen vorzulegen. Werden die Informationen nicht vorgelegt oder reichen die Tatsachen nicht aus, um die Existenz einer rechtswidrigen Beihilfe zu belegen, kann die Kommission in Zukunft die Beschwerde leichter zurückweisen.
Eine verpasste Chance
Die weitreichenden Änderungen der VerfVO wurden nicht genutzt, um die Rolle des Beihilfeempfängers im Beihilfeverfahren zu formalisieren. Auch in Zukunft müssen sich die Beihilfebegünstigten damit zufriedengeben, lediglich Gegenstand der Untersuchung zu sein, obwohl eine eventuelle Rückzahlungsverpflichtung der rechtswidrigen Beihilfe wirtschaftlich nur den Beihilfebegünstigten trifft.