Aus für dynamische Bezugnahmeklauseln?

RA/FAArbR Dr. Rolf Kowanz, Partner bei Heisse Kursawe Eversheds, München

RA/FAArbR Dr. Rolf Kowanz, Partner bei Heisse Kursawe Eversheds, München

Relativ unbemerkt hat der Europäische Gerichtshof kürzlich ein Urteil gefällt, das Sprengkraft birgt und das Recht der Betriebsübergänge womöglich auf den Kopf stellen kann (Urteil vom 18. 7. 2013 – C‑426/11, DB 2013 S. 1851; vgl. dazu auch Forst, DB 2013 S. 1847).

Dem Ausgangsfall lagen zunächst zwei normale Betriebsübergänge von scheinbar untergeordneter Wichtigkeit zugrunde: Eine kommunale Einrichtung in England wurde an einen privaten Träger veräußert und von diesem wiederum an einen ebenfalls privaten Dritten weiterverkauft. In den Arbeitsverträgen der Beschäftigten war über eine dynamische Bezugnahmeklausel geregelt, dass der jeweils gültige Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, dem der Betrieb ursprünglich angehörte, Anwendung findet. Der dort geltende Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes wurde nun neu verhandelt und sah Lohnsteigerungen vor, nachdem der Betrieb bereits in die Privatwirtschaft übergegangen war. Der Erwerber sah sich an die Lohnsteigerungen nicht gebunden. Er argumentierte, dass eine dynamische Bezugnahme nicht so weit gehen könne, dass sie ihn an Tarifverträge binde, auf deren Entstehung und Gestaltung er gar keinen Einfluss habe.

Der UK Supreme Court legte den Fall dem EuGH vor. Und dieser fällte ein relativ überraschendes Urteil: Der Betriebserwerber dürfe nicht über dynamische Bezugnahmeklauseln an Tarifverträge gebunden werden, auf deren Entstehung und Formulierung er keinen Einfluss habe. Das widerspreche der Unternehmerfreiheit der Europäischen Grundrechtecharta. Überraschend ist dieses Urteil deswegen, weil der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung stets betont hatte, dass bei einem Betriebsübergang die Arbeitnehmerrechte unangetastet bleiben müssen. Nun rückt er hingegen die unternehmerische Freiheit des Betriebserwerbers in den Vordergrund.

Auch das Bundesarbeitsgericht ist in solchen Konstellationen bislang eher streng gegenüber dem Erwerber. Nach seiner Rechtsprechung ist der Betriebserwerber grundsätzlich an dynamische Bezugnahmeklauseln gebunden. Schließlich ist er nicht gezwungen, den Betrieb zu übernehmen; tut er dies aber, dann auch mit allen Vor- und Nachteilen. Mit dem Salto rückwärts aus Luxemburg stellt sich jetzt die Frage, ob dynamische Bezugnahmen „auf den jeweils gültigen Tarifvertrag in der jeweils gültigen Fassung“ bei einem Betriebsübergang überhaupt noch wirksam sind. Denkbar sind mehrere Szenarien:

Szenario 1: Der Erwerber übernimmt ein Unternehmen, das das Tarifvertragswerk eines anderen Unternehmens, also einen Haustarifvertrag, in Bezug nimmt, weil dessen Regelungen passend scheinen. Auf die Neuabschlüsse dieses Haustarifvertrags hat der Erwerber faktisch keinen Einfluss. Folgt man dem EuGH, müsste nun die dynamische Bezugnahme entfallen.

Szenario 2: Ein Unternehmen, Mitglied eines Arbeitgeberverbands, nimmt standardmäßig in allen Arbeitsverträgen dynamisch Bezug auf den einschlägigen Branchentarifvertrag, um die Arbeitsverhältnisse zu harmonisieren. Dieses Unternehmen wird nun von einem anderen Unternehmen erworben, das nicht Mitglied im Verband ist. Um Einfluss auf die künftigen, über die Bezugnahme geltenden Tarifverträge zu bekommen, müsste der Erwerber eigentlich in den Verband eintreten. Hiergegen spricht aber die negative Koalitionsfreiheit, nach der kein Unternehmen zur Verbandsmitgliedschaft gezwungen werden kann. Weil er als Nichtmitglied keinen Einfluss auf die Tarifverhandlungen nehmen kann, wäre der Erwerber – den EuGH beim Wort genommen – ebenfalls nicht an die dynamische Bezugnahmeklausel gebunden.

Denkbar ist eine weitere Folge: Will der EuGH die Unternehmensfreiheit schützen und Arbeitgeber davor bewahren, an Vertragswerke gebunden zu sein, auf deren Aushandlung sie keinen Einfluss haben, macht dies nicht bei Betriebsübergängen Halt. Viele Unternehmen, die Mitglied im Arbeitgeberverband sind, verwenden in ihren Arbeitsverträgen Bezugnahmeklauseln. Anderenfalls müssten die Arbeitgeber beim Gehalt und anderen Arbeitsbedingungen danach unterscheiden, welcher Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist und welcher nicht. Tritt dieses Unternehmen nun aus dem Arbeitgeberverband aus (was es wegen der negativen Koalitionsfreiheit jederzeit darf), verweist die dynamische Bezugnahmeklausel dennoch auf die künftigen Tarifverträge. Das ausgetretene Unternehmen kann auf die Verhandlungen aber keinen Einfluss mehr nehmen. Auch in diesem Fall wäre die dynamische Bezugnahmeklausel hinfällig. Verkürzt gesagt dürfte dies den Unternehmer freuen – würde aber praktisch das Aus für die dynamische Bezugnahme bedeuten.

Ob all diese Folgen tatsächlich eintreten werden und ob der Arbeitnehmerschutz bei Betriebsübergängen tatsächlich so stark eingeschränkt werden wird, ist nun erst einmal Sache des BAG. Es gäbe durchaus rechtlichen Spielraum, die dynamische Bezugnahme für das deutsche Arbeitsrecht zu retten. Ob das BAG es allerdings wagt, sich so deutlich gegen den EuGH zu stellen, ist fraglich. Und so bleibt abzuwarten, wie groß die Freude der Betriebserwerber am Ende tatsächlich sein wird.

Kommentare sind geschlossen.