Kooperationspflicht bei Durchsuchungen durch die Kartellbehörden

RA Annette Luise Schild, Partner, Arnold & Porter, Brüssel

RA Annette Luise Schild,
Partner, Arnold & Porter, Brüssel

Fast jeden Monat sind die Beamten der europäischen und deutschen Kartellbehörden unterwegs, um Unternehmen der verschiedensten Branchen zu durchsuchen. Den Startschuss in diesem Jahr gab das Bundeskartellamt im Februar mit Durchsuchungen in der Stahlbranche, gefolgt vom Sanitärgroßhandel im März. Im Mai durchsuchte es Unternehmen der Kartoffelbranche. Im selben Monat fanden Dawn Raids der europäischen Kommission bei Unternehmen der Zucker- bzw. der Öl- und Biospritindustrie statt. Im Juni standen Transportunternehmen im Fokus.  Zu guter Letzt durchsuchte die Kommission im Juli drei große Telekommunikationsunternehmen wegen deren Preisgestaltung beim Internetzugang. Die Regelmäßigkeit und Bandbreite der Durchsuchungen zeigt, dass Unternehmen aller Branchen jederzeit mit Durchsuchungen der Kartellbehörden rechnen müssen und deshalb entsprechend vorbereitet sein sollten.

Sehr weitgehende Rechte der Behörden

Der Umfang der Eingriffsbefugnisse variiert leicht, je nachdem, welche Behörde zuständig ist (EU-Kommission oder Bundeskartellamt) und, nach deutschem Recht zumindest, welches Verfahren verfolgt wird – Verwaltungsverfahren (Nachprüfungsentscheidungen gem.  § 59 Abs. 1 GWB, richterliche Durchsuchungsanordnung gem.  § 59 Abs. 4 GWB) oder Bußgeldverfahren (richterliche Durchsuchungsanordnung gem. § 46 OWiG i. V. mit § 105 StPO); sie sind aber durchaus weitgehend: So haben die Beamten grundsätzlich das Recht, alle Räumlichkeiten und Transportmittel des Unternehmens zu betreten und Kopien von Dateien oder Dokumenten anzufertigen. Das Bundeskartellamt nimmt bei Durchsuchungen sogar zunächst die Originaldokumente mit, gestattet den Unternehmen aber, von für den Geschäftsbetrieb unbedingt erforderlichen Unterlagen vorher Kopien anzufertigen.

Verhalten bei Durchsuchungen

Als wichtigste Verhaltensregel im Falle einer Durchsuchung gilt: kooperativ verhalten und die Beamten nicht behindern – ohne aber voreilig Dinge preiszugeben, nach denen nicht gefragt wurde. Durch das Unternehmen bedingte Verzögerungen können teuer werden. So kostete es ein niederländisches Unternehmen fast 3 Mio. €, weil man Bediensteten der Kommission für weniger als eine Stunde den Zutritt zum Gelände verweigert hatte (Kommissionsentscheidung K(2006) 4090 endg. vom 13. 9. 2006 im Verfahren Az. COMP/F/38.456 [Bitumen – Niederlande], bestätigt mit Urteil des EuG vom 27. 9. 2012, Rs. T-357/06– Koninklijke Wegenbouw; Rechtsmittel gegen das Urteil anhängig beim EuGH unter dem Zeichen C-586/12P).

Was müssen Unternehmen also beachten? Zunächst ist wichtig, dass es in jeder Niederlassung einen designierten Ansprechpartner für solche Fälle gibt. Das kann der Syndikusanwalt, aber auch ein sonstiger entsprechend umfangreich geschulter Mitarbeiter sein.  Dieser sollte als erstes den Nachprüfungs- bzw. Durchsuchungsbeschluss hinsichtlich formeller Voraussetzungen prüfen und dem In-House-Juristen oder dem externen Rechtsanwalt des Unternehmens eine Kopie zuleiten.

Die Mitarbeiter sollten den Beamten ohne Verzögerung Zutritt zum Gebäude gestatten und, soweit möglich, einen leeren Konferenzraum mit Internetzugang und Telefon als Basis zur Verfügung stellen. Lange warten, bis ein Jurist vor Ort eintrifft, müssen die Behördenmitarbeiter nicht, deshalb gilt es, z. B. bei Unsicherheiten über den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses und die Kooperationspflicht juristischen Rat per Telefon einzuholen.

Sperren und Siegel beachten

Auf Verlangen der Beamten muss das Unternehmen für die Durchsuchung wichtige Mitarbeiter wie zum Beispiel IT-Administratoren dazuholen

Das Unternehmen muss die Beamten nicht auf bestimmte Räume hinweisen. Auf Nachfragen hin sollten ihnen jedoch die Mitarbeiter Zugang zu allen Räumen gewähren. Während der Durchsuchung ist es ratsam, jedem Beamten einen Mitarbeiter des Unternehmens für eventuell auftretende (organisatorische) Fragen, aber auch zur Kontrolle zur Seite zu stellen. Die Kommission kann nach Art. 20 Abs. 2 (e) der Verordnung 1/2003 von den Mitarbeitern Erläuterungen zu Tatsachen oder Unterlagen verlangen, die mit Gegenstand und Zweck der Nachprüfung in Zusammenhang stehen, und ihre Antworten zu Protokoll nehmen. Nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung 1/2003 kann sie auch – sowohl während der Durchsuchung als auch zu einem späteren Zeitpunkt – Unternehmensmitarbeiter umfassender im Zuge ihrer Ermittlungen befragen.  Hierzu ist jedoch die Zustimmung der zu befragenden Person erforderlich.  Die Kommission hat auch die Möglichkeit, (später) Auskunftsverlangen nach Art. 18 der Verordnung 1/2003 an das Unternehmen zu richten, die jedenfalls bei einer Entscheidung nach Art. 18 Abs. 3 beantwortet werden müssen.  Bei Durchsuchungen des Bundeskartellamtes, die i. d. R. nur zu „dulden“ sind, sind auf Anfrage die Personalien anzugeben; Aussagen zur Sache müssen grundsätzlich nicht gemacht werden. Eine Aussagepflicht für Zeugen besteht nur bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Vorladung.  Die Vernehmung von Zeugen hat bei Untersuchungen des Bundeskartellamtes aber ohnehin eine eher untergeordnete Bedeutung.

Räume, die nicht unmittelbar durchsucht werden können, werden meist versiegelt. Solche Siegel dürfen auf keinen Fall gebrochen oder in irgendeiner anderen Form manipuliert werden, da dies zu empfindlichen Geldbußen führen kann. So musste zum Beispiel E.ON wegen Siegelbruchs eine Geldbuße von 38 Mio. € zahlen (Kommissionsentscheidung C(2008) 377 endg. vom 30. 1. 2008 im Verfahren Az. COMP/B-1/39.326 [E.ON Energie AG], bestätigt vom EuG mit Urteil vom 15. 12.. 12. 2010 – Rs. T-141/08 und vom EuGH mit Urteil vom 22. 11.. 11. 2012 – Rs. C-89/11P – E.ON).  Damit das funktioniert, müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter entsprechend schulen – auch Empfangsmitarbeiter und Vorzimmerpersonal.

Digitale Daten offenlegen

Die Behörden interessieren sich zunehmend für Kalendereinträge in Smartphones, E-Mails und Dokumente auf persönlichen Laptops und auf den Servern der Unternehmen. Die Kartellbehörden erwarten hier die Bereitstellung der entsprechenden Hardware bis hin zu den dienstlich genutzten Mobiltelefonen aller Mitarbeiter. Grundsätzlich müssen die IT-Abteilungen die Beamten aktiv und umfangreich unterstützen. Dies reicht von der Vergabe von Administratorrechten bis zur Blockade von E-Mail-Konten.

Es ist wichtig, die betroffenen Mitarbeiter über solche Maßnahmen in Kenntnis zu setzen. Im Falle eines europäischen Energieunternehmens hatte ein Mitarbeiter, der über die Durchsuchung nicht informiert war, ein neues Passwort für ein blockiertes E-Mail-Konto angefordert und bekommen. Außerdem hatte die IT-Abteilung während der Untersuchung eine E-Mail-Umleitung eingerichtet. Beides wurde als Verstoß gewertet und mit einer Geldbuße i. H. von insgesamt 2,5 Mio. € geahndet (Kommissionsentscheidung C(2012) 1999 endg. vom 28. 3. 2012 im Verfahren Az. COMP/39.793 [EPH und andere]; gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel beim EuG anhängig, Rs. T-272/12).

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