Beschlussmängelrecht – die nächste große Aktienrechtsreform?

Die neue Bundesregierung steht ganz gewiss vor größeren Herausforderungen als ausgerechnet das Recht der Beschlussmängel zu reformieren. Aber sie sollte diesem Gegenstand auch nicht ausweichen. Der BDI hat neuerdings erklärt, nach der ausgebliebenen Aktienrechtsnovelle sei eine umfassende Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts noch dringlicher. Der Deutsche Juristentag hat im vergangenen Jahr im Kern dasselbe verkündet. Andererseits hört man Stimmen, auch aus dem BMJ, es sei doch inzwischen Ruhe eingekehrt. Die Verschärfungen durch UMAG (2005) und ARUG (2009) würden greifen. Es wird darauf verwiesen, dass die Zahl der Beschlussmängelklagen um über die Hälfte zurückgegangen ist (Studie von W.Bayer et.al. für das BMJ, Dezember 2011). Und nur wegen Gesetzesästhetik lohne sich der Aufwand zur Bereinigung des Normendickichts nicht.

In der Tat sieht es so aus, als ob der von außen wahrnehmbare Missbrauch des Anfechtungsrechts nachgelassen hat. In den letzten Jahren sind veröffentlichte Gerichtsentscheidungen seltener geworden. Das Kampffeld hat sich auf das Freigabeverfahren verlagert, das Kleinstbeteiligte schon deshalb nicht bestehen, weil hier ein Quorum von 1000 € anteiligem Kapitalbesitz greift. Doch gerade die Existenz eines besonderen Verfahrens (§ 246a AktG) ist ein Indiz für die Brüchigkeit des Systems. Es ist geradezu zynisch-perplex, wenn einerseits jedem Aktionär mit einer Aktie die Klage offensteht, er aber im weiteren Verlauf keine Chance mehr hat. Dieser Widerspruch ist mehr als ein ästhetisches Problem.

Das Beschlussmängelrecht kennt nur ein „schwarz/weiß“ in der Rechtsfolge: Entweder der Beschluss ist voll gültig oder er wird „für nichtig erklärt“ (§ 248 AktG). Mit diesem Rechtsschutzziel der Vernichtung des Beschlusses wird aber mit Kanonen auf Spatzen geschossen, wenn der Fehler nicht wirklich gewichtig ist. Ungenauigkeiten bei der Einberufung der Versammlung oder Durchführungsprobleme (keine Beschallung des Foyers …) werden zum Anlass genommen, alle Beschlüsse der HV zu kippen – einerlei, ob sie inhaltlich korrekt und zum Wohle der Gesellschaft und der Aktionäre gefasst sind. Fiat iustitia, pereat mundus. Und diese Unverhältnismäßigkeit, diese Unwucht in Tatbestand und Rechtsfolge ist nicht nur ein Schönheitsfehler, sondern ein Mangel der Grundkonstruktion.

Die Beruhigung durch das Freigabeverfahren erreicht zwar die eintragungsbedürftigen Strukturbeschlüsse. Für andere Beschlüsse (etwa: Erwerb eigener Aktien) und vor allem für die Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats gibt es keine Bestandssicherung. Nachdem der BGH am 19. 2. 2013 (II ZR 56/12, DB 2013 S. 806) entschieden hat, dass die Anfechtung der Wahlbeschlüsse ex tunc wirkt, ist ein ernstes Problem in der Welt. Wichtige Fachtagungen (etwa im November die Gesellschaftsrechtliche Vereinigung) befassen sich mit der nichtigen Aufsichtsratswahl, um der Praxis eine Orientierung zu bieten (s. auch Arnold/Gayk DB 2013, 1830 ff). Hier ist letztlich der Gesetzgeber wohl doch gefordert. Eine isolierte Regelung zu dieser Frage würde das Gebäude des Beschlussrechts um eine weitere Hütte ergänzen. Ebenso baulicher Wildwuchs wäre eine Aussage zur Beschlussrelevanz von Verstößen gegen anerkannte Kodex-Empfehlungen. Selbstverständlich kann man punktuell so weiterarbeiten. Auch das geltende Beschlussmängelrecht kennt schon etliche Durchbrechungen und Ausnahmeregelungen (s. insbesondere § 243 Abs. 3 und 4 AktG). Die kleinen Lösungen („Drehen an der Stellschraube“) dürfte naheliegen, wenn der Elan für die große nicht reicht.

Ein Vorschlag geht dahin, für die Anfechtung eine rechtliche Betroffenheit des klagenden Aktionärs zu verlangen (ähnlich wie im Verwaltungsprozess). Damit wäre die Popularklage zwar ausgeschaltet. Doch  muss man darauf achten, dass die Aktionäre selbst für ein gesetz- und satzungsmäßiges „Gebaren“ der Hauptversammlung sorgen können – sonst steht irgendwann ein Aktienamt als Aufsichtsbehörde im Binnenbereich ins Haus.

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