Keine Barabfindung beim Delisting – BGH ändert Rechtsprechung

RA Dr. Cornelius Götze, Partner, Gleiss Lutz, Frankfurt/M.

RA Dr. Cornelius Götze, Partner, Gleiss Lutz, Frankfurt/M.

Der BGH hat mit Beschluss vom 8. 10. 2013 – II ZB 26/12; DB 2013 S. 2672 entschieden, dass Unternehmen beim Rückzug von der Börse (sog. „Delisting“) den Aktionären kein Barabfindungsangebot für ihre Aktien machen müssen. Auch ein Beschluss der Hauptversammlung ist nicht erforderlich. Mit dieser wegweisenden Entscheidung gibt der BGH seine bisherige Rechtsprechung zum Delisting auf.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Tiefkühlproduzent FRoSTA AG den Wechsel vom regulierten Markt der Wertpapierbörse Berlin in den Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse vollzogen, ohne zuvor die Hauptversammlung zu befragen. Auch ein Abfindungsangebot wurde nicht unterbreitet. Dies hielt eine Reihe von Aktionären für rechtswidrig und beantragte die Durchführung eines gerichtlichen Spruchverfahrens, um eine angemessene Barabfindung für ihre Aktien bestimmen zu lassen. Die Instanzgerichte hatten diese Anträge abgelehnt: Da der Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freihandel (das sog. „Downgrading“) in seinen Auswirkungen auf die Rechte der Minderheitsaktionäre nicht mit einem vollständigen Delisting vergleichbar sei, bedürfe es in diesem Fall keines Abfindungsangebots; dementsprechend finde auch kein Spruchverfahren statt. Der BGH schloss sich dem im Ergebnis an, ging in seiner Begründung aber noch deutlich weiter, indem er nicht nur das bloße Downgrading, sondern auch das vollständige Delisting für hauptversammlungs- und abfindungsfrei erklärte.

Mit dieser Entscheidung vollzieht das höchste deutsche Zivilgericht eine spektakuläre Kehrtwende. Noch 2002 war der BGH in der sog. „Macrotron“-Entscheidung davon ausgegangen, dass das reguläre Delisting sowohl eines Hauptversammlungsbeschlusses als auch eines (in einem Spruchverfahren überprüfbaren) Pflichtangebots der AG oder des Hauptaktionärs an die Minderheitsaktionäre bedürfe. Denn das Delisting bedeute eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien und damit einen Eingriff in das Aktieneigentum (Urteil vom 25. 11. 2002 – II ZR 133/01, DB 2003 S. 544). Die „Macrotron“-Rechtsprechung führte zwar i. d. R. nicht zu einer nennenswerten Verzögerung des Rückzugs von der Börse, denn die erforderliche Beschussmehrheit war meist gesichert, und die Durchführung des Spruchverfahrens war keine Vorbedingung für das Wirksamwerden des Delisting. Gleichwohl hatte diese Rechtsprechung für die betroffenen Unternehmen bzw. ihre Hauptaktionäre angesichts der Notwendigkeit ausführlicher Bewertungsgutachten und vor allem eines sich häufig über Jahre hinziehenden Spruchverfahrens einen erheblichen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand zur Folge – von der drohenden gerichtlichen Erhöhung der Abfindung ganz zu schweigen.

Ganz überraschend kam die Abkehr des BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung allerdings nicht. Denn das BVerfG hatte bereits im vergangenen Jahr befunden, dass ein (auch vollständiges) Delisting grundsätzlich nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs berühre. Die Verfassungsrichter hatten den Zivilgerichten aber noch eine Tür offengelassen, indem sie erklärten, dass sich das Erfordernis eines Pflichtangebots gleichwohl noch in den Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewege (Urteil vom 11. 7. 2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, DB 2012 S. 1618). Seither war spekuliert worden, wie sich der BGH positionieren, und insbesondere ob er zwischen dem Downgrading und dem Delisting differenzieren werde.

Diese Spekulationen hat der BGH nun in erfreulich klaren Worten beendet. Dass er dabei die Notwendigkeit eines Pflichtangebots nicht nur (wie es der Fall FRoSTA AG an sich erlaubt hätte) für den Fall des Downgrading, sondern – quasi „überschießend“ – auch für den Fall des vollständigen Börsenrückzugs verneint hat, zeigt, dass dem Gericht an einer „Generalbereinigung“ der Rechtslage gelegen war. Das ist sehr zu begrüßen, weil damit gerade für kleinere und mittelgroße Unternehmen Rechtssicherheit herrscht, die sich seit einigen Jahren (vornehmlich aus Kostengründen) verstärkt vor die Frage gestellt sehen, ob sie den Widerruf der Börsenzulassung beantragen sollen. Diese Gesellschaften dürfen nun sicher sein, dass es sich hierbei um einen Akt der Geschäftsführung handelt, der allein in den Händen der Verwaltung liegt und auch kein ressourcenraubendes Spruchverfahren nach sich zieht.

Der Beschluss des BGH hat aber nicht nur Bedeutung für die Zukunft. Er ist vielmehr auch für laufende Spruchverfahren zur Überprüfung bereits unterbreiteter Pflichtangebote im Rahmen eines Delisting von Belang. Diese Verfahren dürften nicht mehr zum Erfolg führen können. Denn für ein Spruchverfahren fehlt es in diesen Fällen nach der Entscheidung des BGH an einer wenigstens richterrechtlichen Grundlage; das Verfahren ist – in der Terminologie des Prozessrechts – nicht mehr statthaft und ein entsprechender Antrag daher als unzulässig abzuweisen. Dies entspricht ausweislich erster Äußerungen eines Mitglieds des zuständigen BGH-Senats wohl auch der Sichtweise des Gerichts.

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