Am 1. 7. 2012 traten zahlreiche Änderungen des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) in Kraft, die die Neuregelungen der EU-Prospektverordnung (EU-ProspVO) nachvollzogen. Unter anderem sieht die neue Fassung der EU-ProspVO nun ein (freiwilliges) vereinfachtes Prospektregime für Bezugsrechtsemissionen vor, die sich ausschließlich an die Altaktionäre richten. Es erlaubt eine Reihe von Vereinfachungen bezüglich der inhaltlichen Anforderungen des zu erstellenden Prospekts. Der europäische Gesetzgeber wollte es so bereits börsennotierten Emittenten erleichtern, von ihren Aktionären zusätzliches Eigenkapital aufzunehmen. Die Vereinfachungen boten sich an, da davon ausgegangen werden darf, dass die Aktionäre dieser Emittenten ohnehin regelmäßig – z. B. aufgrund der Finanzberichterstattung – über wesentliche Angelegenheiten der Gesellschaft informiert sind.
Die neue Regelung impliziert, dass Bezugsrechtsemissionen grundsätzlich ein (prospektpflichtiges) öffentliches Angebot darstellen. Deshalb gab die BaFin ebenfalls zum 1. 7. 2012 ihre langjährige Verwaltungspraxis auf, nach der solche Emissionen nicht als öffentliches Angebot galten, wenn kein Bezugsrechtshandel eingerichtet wurde. So unterliegen nun diese Emissionen einer generellen Prospektpflicht – mit Ausnahme von Angeboten, deren Erlöse innerhalb von zwölf Monaten einen maximalen Betrag von 5 Mio. € (früher: 2,5 Mio. €) nicht erreichen; auf sie findet das WpPG keine Anwendung (eine etwaige Prospektpflicht kann sich dann allenfalls aus einer Zulassung der Aktien ergeben).
Für die Anwendung des vereinfachten Prospektregimes ist nach Ansicht der BaFin nun unerheblich, ob ein öffentlicher Bezugsrechtshandel organisiert wird, über den auch Dritte Bezugsrechte erwerben könnten. Findet aber ein öffentliches Angebot mit breiterem Adressatenkreis statt (z. B. im Rahmen der Platzierung nicht bezogener Aktien an Dritte), stehen die Erleichterungen nicht zur Verfügung. Die Voraussetzungen für die Anwendung des vereinfachten Regimes – u. a., dass Aktien derselben Gattung bereits zum Handel an einem regulierten Markt oder einem multilateralen Handelssystem mit bestimmten Anforderungen zugelassen sind – sind im Billigungsantrag gegenüber der BaFin darzulegen. Ferner muss am Prospektanfang auf die Anwendung des vereinfachten Prospektregimes hingewiesen werden.
Die Vereinfachungsoptionen betreffen z. B. die historischen Finanzinformationen, die nur für das letzte Geschäftsjahr (statt für die letzten drei) enthalten sein müssen, sowie den reduzierten Umfang der Beschreibung der Geschäftstätigkeit und des Marktumfelds. Ferner kann u. a. auf Angaben zur Entwicklung der Geschäfts- und Finanzlage sowie Eigenkapitalausstattung verzichtet werden; wesentliche Verträge müssen nur für ein Jahr (statt für zwei) dargestellt werden.
Eine Betrachtung ausgewählter Bezugsrechtsemissionen in Deutschland seit Inkrafttreten des neuen Regimes zeigt jedoch, dass in der Praxis von der Vereinfachungsmöglichkeit bisher kaum Gebrauch gemacht wurde. Bei einigen Emissionen wurden die Anzahl der neuen Aktien und der Bezugspreis so gewählt, dass schon die Anwendung des WpPG – und damit eine Prospektpflicht – an der 5 Mio. €-Schwelle scheiterte (z. B. Epigenomics); z. T. wurde dies dadurch erreicht, dass Großaktionäre auf die Ausübung ihrer Bezugsrechte verzichteten. Die größeren Transaktionen dieser Art seit dem 1. 7. 2012 wurden mit einem vollwertigen Prospekt durchgeführt – erstellt nach den inhaltlichen Vorgaben der Anhänge I und III der EU-ProspVO (z. B. Commerzbank, Sky). Auch bei kleineren Emissionen (oberhalb der genannten Schwelle) wurde i. d. R. ein Prospekt mit „normalem“ Inhaltsumfang bevorzugt. Wenn doch auf das vereinfachte Regime zurückgegriffen wurde (z. B. Analytik Jena, 4SC), wurden bestimmte Angaben, auf die der Emittent hätte verzichten können, freiwillig aufgenommen, d. h. es wurde nur teilweise von den Vereinfachungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht.
Dass das vereinfachte Prospektregime für Bezugsrechtsemissionen bisher auf wenig Resonanz gestoßen ist, ist wenig überraschend: Wesentliche Informationen müssen aus Haftungsgründen ohnehin in den Prospekt aufgenommen werden, da er nach § 5 Abs. 1 WpPG sämtliche Angaben enthalten muss, die notwendig sind, um dem Publikum ein fundiertes Urteil über Emittenten und Wertpapiere zu ermöglichen (der Haftungsmaßstab ist unverändert geblieben). Damit sinkt auch der Due Diligence-Aufwand nicht, da eine Beurteilung darüber notwendig bleibt, ob nicht nach den Umständen des Einzelfalls doch eine weiterreichende Offenlegung geboten ist. Ferner gehören bestimmte Prospektinhalte, z. B. die Erläuterung der Entwicklung der Finanz- und Ertragslage zu den Standards, die insbesondere von internationalen Investoren erwartet werden. Findet außerdem eine Privatplatzierung in den USA nach der sog. Rule 144A des U.S. Securities Act von 1933 statt (z. B. für die Verwertung nicht bezogener Aktien), so ist eine vollständige Offenlegung ohnehin erforderlich. Aus diesen Überlegungen dürfte das vereinfachte Prospektregime jedenfalls bei größeren oder auch im Ausland vermarkteten Emissionen zumindest zunächst i. d. R. weiterhin ausscheiden.
In der Praxis bietet das vereinfachte Regime deshalb lediglich in seltenen Fällen eine echte Vereinfachung. Aus deutscher Sicht führt die Neuregelung angesichts der Aufgabe der Verwaltungspraxis der BaFin zur Prospektfreiheit von Bezugsrechtsemissionen ohne Bezugsrechtshandel insgesamt betrachtet in vielen Fällen wohl eher zu einer Erschwerung von Bezugsrechtskapitalerhöhungen.