Sog. Settlements – also die einvernehmliche Beendigung von Kartellbußgeldverfahren – haben in der Verfolgungspraxis des Bundeskartellamtes eine überragende Bedeutung, denn durch beschleunigte Verfahren und reduzierte Bußgelder entlasten sie sowohl die Kartellbehörde als auch die betroffenen Unternehmen. Kartellverfahren, in denen nicht zumindest mit einem der Beteiligten ein Settlement erzielt wird, sind inzwischen die Ausnahme. Aktuelles Beispiel ist die Einigung mit fünf Brauereien von „Fernsehbieren“ auf ein Bußgeld von mehr als EUR 100 Mio.
Das Bundeskartellamt hat die in der Praxis entwickelten Grundsätze des Settlement-Verfahrens nun in einem Merkblatt zusammengefasst.
Der Kern des Verfahrens ist ein Anerkenntnis des zur Last gelegten Sachverhalts sowie die Verhängung eines Bußgeldes in vorbesprochener Höhe. Nicht Gegenstand des Vergleiches ist hingegen die Frage, ob überhaupt ein Kartellverstoß vorliegt. Dieser wird vielmehr mit dem (Kurz‑)Bußgeldbescheid, der das Settlement-Verfahren abschließt, rechtsverbindlich festgestellt.
Das Settlement-Verfahren ist im Gegensatz zur Verständigung im Strafverfahren (§ 257c StPO) gesetzlich nicht geregelt, sondern wird auf das allgemeine Aufgreif- und Verfolgungsermessen des Bundeskartellamtes gestützt. Ist ein Unternehmen geständig, kann dies bei der Bußgeldberechnung als mildernder Umstand gewertet werden. Das Verfahren vor dem Bundeskartellamt zeichnet sich durch seine Flexibilität aus und ist damit deutlich erfolgreicher als sein Pendant auf EU-Ebene. Die EU-Kommission hat sich ein starres Korsett mit zwingenden Verfahrensschritten und zeitlichen Abläufen angelegt, das in der Praxis nur selten in einer Verständigung mündet (s. dazu Verordnung (EG) Nr. 622/2008 der Kommission vom 30. 6. 2008 […] hinsichtlich der Durchführung von Vergleichsverfahren in Kartellfällen, ABlEU L 171 vom 1. 7. 2008 S. 3, und Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren […], ABlEU Nr. C 167 vom 2. 7. 2008 S. 1). Auch vor diesem Hintergrund standen der deutsche Gesetzgeber und das Bundeskartellamt einer Formalisierung des Verfahrens bisher kritisch gegenüber.
Ablauf des Settlement-Verfahrens
Das Merkblatt fasst die bisherige Praxis des Bundeskartellamtes zusammen und präzisiert einzelne Aspekte. Die Veröffentlichung dient der Transparenz und Rechtssicherheit und ist zu begrüßen. Das Merkblatt bindet das Bundeskartellamt hinsichtlich der folgenden Grundzüge des Verfahrens, ohne die bewährte Flexibilität aufzugeben:
1.) Nach der Sichtung der Beweismittel können das Bundeskartellamt oder das betroffene Unternehmen „jederzeit“ Settlement-Gespräche anregen. Ein umfassendes Anhörungsschreiben, in dem Tatvorwurf, Beweisführung und rechtliche Würdigung ausführlich dargestellt sind, ist nicht erforderlich (und in der Praxis auch nicht üblich).
2.) Schriftlich oder – und dies dürfte die Regel sein – in einem Gespräch erläutert das Bundeskartellamt sodann den zur Last gelegten Sachverhalt, stellt eine geminderte Geldbuße in Aussicht und hört die Beteiligten dazu an. Der Settlement-Abschlag beläuft sich regelmäßig auf 10% und wird zusätzlich zu weiteren Vergünstigungen gewährt, wie etwa durch die Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung.
3.) Kommt es zu einer Einigung, muss das Unternehmen den zur Last gelegten Sachverhalt als zutreffend anerkennen und die angekündigte Geldbuße akzeptieren („Settlement-Erklärung“). Das geständige Unternehmen verzichtet auf eine vollständige Akteneinsicht, und das Verfahren wird durch einen sog. Kurzbescheid (§ 66 OWiG) beendet. Ein Rechtsmittelverzicht ist damit nicht verbunden.
4.) Kommt es zu keiner Einigung, führt das Bundeskartellamt das Verfahren streitig fort und erlässt einen ausführlichen Bußgeldbescheid. Das Gleiche gilt, wenn ein Unternehmen trotz Settlements Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegt.
Positiv hervorzuheben sind zudem zwei Klarstellungen im Merkblatt: Erstens sind Settlements – anders als in der EU – nicht auf Kartelle beschränkt, sondern z. B. auch in Missbrauchsverfahren oder bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot möglich. Zweitens setzt ein Settlement nicht voraus, dass alle Beteiligten geständig sind. „Hybride“ Settlements, also Verfahren, in denen mit einem Teil der Beteiligten ein Settlement erreicht wird, während das Verfahren gegen die anderen Beteiligten streitig fortgeführt wird, sind möglich.
Abwägung im Einzelfall erforderlich
Ob ein Settlement angestrebt wird, muss im Einzelfall vom Unternehmen sorgsam abgewogen werden. Verfahrensvereinfachung und Bußgeldminderung stehen einer Verkürzung der Verfahrensrechte gegenüber.
Neben dem Settlement-Abschlag auf das Bußgeld (10%) besteht zudem die Aussicht, anlässlich der Gespräche mit dem Bundeskartellamt den Umfang der bebußten Tat oder einzelne Faktoren der Bußgeldberechnung zu beeinflussen. Zudem kann eine Verständigung darüber angestrebt werden, wie das Bundeskartellamt mit Taten, Teil-Taten und Beschuldigten umgeht, die nicht Gegenstand der Settlement-Gespräche sind (z. B. Einstellung im Ermessen der Behörde).
Für ein Settlement kann weiterhin das Interesse des Unternehmens sprechen, das Verfahren schnell und rechtskräftig beizulegen (z. B. im Fall einer angestrebten Veräußerung der betroffenen Unternehmenssparte).
Allerdings muss das Bundeskartellamt im Settlement weder einen vollständigen und gerichtsfesten Nachweis der Tat führen noch entlastende Umstände erschöpfend ermitteln. Ausreichend ist ein „hinreichender Informationsstand“ nach Sichtung der Beweismittel. Das Unternehmen erhält zudem keinen Zugang zu den oftmals umfangreichen Akteninhalten, sondern ihm werden vom Bundeskartellamt nur ausgewählte Beweismittel zur Verfügung gestellt. Der Tatvorwurf wird i. d. R. auf wenigen Seiten zusammengefasst. Die Möglichkeiten des Unternehmens, sich inhaltlich gegen den Vorwurf zu wehren, sind damit beschränkt.
Bei frühen Settlements besteht zudem die Gefahr, dass das Bundeskartellamt später seine Auffassung etwa zur Berechnung der tatbezogenen Umsätze ändert oder die weiteren Ermittlungen zusätzliche entlastende Umstände offenbaren. Nach Rechtskraft eines Bußgeldbescheids können solche Umstände nicht mehr berücksichtigt werden. Eine praxisgerechte Lösung kann darin bestehen, die das Verfahren abschließenden (Kurz-)Bußgeldbescheide zeitgleich zu versenden. Dies ließe einem zu einem Settlement bereiten Unternehmen die Möglichkeit „nachzuverhandeln“, wenn sich wesentliche Vergleichsparameter im weiteren Verlauf des behördlichen Verfahrens ändern. Bei evidenter Ungleichbehandlung sollte das Bundeskartellamt verpflichtet sein, das Settlement nachträglich zugunsten der Betroffenen anzupassen. Der Rechtsordnung sind solche rechtskraftdurchbrechenden Instrumente bekannt. Das Merkblatt schweigt zu dieser Frage; letztlich wäre hier aber der Gesetzgeber gefordert.
Das Merkblatt behandelt auch nicht die Frage der Verwertbarkeit von Geständnissen oder sonstigen Erkenntnissen aus letztlich gescheiterten Settlement-Gesprächen. Ein streitiges Bußgeld sollte nicht auf solche Erkenntnisse gestützt werden können, und sie sollten auch in einem Gerichtsverfahren nicht verwertbar sein.
Schließlich sind Auswirkungen von Settlements auf mögliche private Schadensersatzklagen zu berücksichtigen. Einerseits räumt das geständige Unternehmen das vorgeworfene Verhalten ein und ist ggf. Schadensersatzklagen früher ausgesetzt als andere Beteiligte. Andererseits ergeht nur ein Kurzbescheid, der Klägern ggf. insbesondere den Nachweis des konkreten Schadens erschwert. Vollständige Immunität von privaten Schadensersatzklagen bietet aber auch ein Settlement nicht.