Mit dem Urteil des BGH vom 10. 12. 2013 – II ZR 53/12, DB 2014 S. 410 liegt nach einschlägiger Rspr. aus den vergangenen Jahren eine weitere höchstrichterliche Entscheidung zu den Grundsätzen der sog. wirtschaftlichen Neugründung vor. Mit dem aktuellen Urteil bestätigt der BGH seine bisherige Spruchpraxis und gibt darüber hinaus weitere Richtlinien für die Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Neugründung an die Hand, indem er erstmals zu der Anwendbarkeit dieser Grundsätze auf eine Gesellschaft in Liquidation Stellung nimmt.
Wirtschaftliche Neugründungen bei GmbHs und Aktiengesellschaften bergen die Gefahr, dass „leere Geschäftsmäntel“ dazu genutzt werden, eine Geschäftstätigkeit aufzunehmen, ohne die für rechtliche Neugründungen geltenden, präventiv wirkenden gläubigerschützenden Regeln einzuhalten, die eine beschränkte Haftung erst rechtfertigen. Um daher im Interesse des Geschäftsverkehrs sicherzustellen, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung zumindest bei der Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit gewährleistet ist, sind nach gefestigter Rechtsprechung auf Fälle wirtschaftlicher Neugründungen die Gründungsvorschriften der betreffenden Gesellschaftsform anzuwenden. Folglich sind wirtschaftliche Neugründungen dem Registergericht offenzulegen und mit der Versicherung zu verbinden, dass die Mindesteinlagen auf das Stamm- bzw. Grundkapital geleistet wurden und der Geschäftsführung endgültig zur freien Verfügung stehen. Die Gesellschafter haften zudem für die Auffüllung des Gesellschaftsvermögens zum maßgeblichen Zeitpunkt bis zur Höhe des in der Satzung ausgewiesenen Stamm-/Grundkapitals (sog. Unterbilanzhaftung). Von einer diese Anforderungen begründenden wirtschaftlichen Neugründung ist auszugehen, wenn eine durch Eintragung in das Handelsregister bereits entstandene Gesellschaft kein aktives Unternehmen (mehr) betreibt, an das die (Fort-)Führung des zukünftigen Geschäftsbetriebes – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung des Tätigkeitsgebietes – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft. In diesem Fall stellt sich die Gesellschaft als „leere Hülse“ dar, die erst durch die (Wieder-)Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit einem Unternehmen ausgestattet wird. Typische Beispiele sind die Verwendung von Vorratsgesellschaften, aber auch die „Wiederbelebung“ eines zur leeren Hülse gewordenen Mantels einer nach interner Umstrukturierung „ungenutzten“ Konzerngesellschaft. Oftmals gehen mit der Fortführung der Geschäftstätigkeit eine Änderung der Firma, des Unternehmensgegenstandes, des Sitzes und der Geschäftsführung einher.
In seinem aktuellen Urteil hatte der BGH über die Unterbilanzhaftung der alleinigen Gesellschafterin einer insolventen GmbH zu entscheiden. Die Gesellschafterin hatte die GmbH von ihrem Ehemann erworben, kurz nachdem die etwa einjährige Liquidation der Gesellschaft durch Eintragung der Fortsetzung der GmbH im Handelsregister beendet und der während der Liquidation ruhende Geschäftsbetrieb wieder aufgenommen worden war. Mit dem Erwerb verbunden war (nur) die Änderung der Firma. Eine wirtschaftliche Neugründung wurde dem Registergericht nicht angezeigt.
Der vorliegende Sachverhalt gab dem Gericht zunächst Gelegenheit, seine jüngste Rechtsprechung aus dem Jahr 2012 zu bestätigen. Im Fall einer dem Registergericht offengelegten wirtschaftlichen Neugründung ist die Haftung der Gesellschafter auf Ausgleich einer im Zeitpunkt der Offenlegung bestehenden Unterbilanz begrenzt. Lange Zeit mit erheblichem Haftungsrisiko belastet waren hingegen Fallgestaltungen, in denen eine solche Offenlegung unterblieben war. In seinem Urteil vom 6. 3. 2012 – II ZR 56/10, DB 2012 S. 1024 stellte der BGH jedoch klar, dass Gesellschafter auch bei einer unterlassenen Offenlegung keiner zeitlich und der Höhe nach unbegrenzten Verlustdeckungshaftung unterliegen. Vielmehr haften sie auch in diesem Fall nur für die Auffüllung des Stammkapitals, wenn und soweit in dem Zeitpunkt eine Unterbilanz bestand, zu dem die wirtschaftliche Neugründung entweder durch die Anmeldung der mit einer Neugründung etwaig verbundenen Satzungsänderung oder durch Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung trat („wirtschaftlicher Neustart“). Es ist erfreulich, dass der BGH diese von weiten Teilen der Literatur begrüßte haftungsbegrenzende Rechtsprechung nunmehr erneut bestätigt, zumal das damalige Urteil auch entgegen anderweitiger Auffassung in Literatur und Instanzrechtsprechung ergangen war. Die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung, dass die Gründungsvorschriften auf eine wirtschaftliche Neugründung ohnehin keine Anwendung finden, dürfte damit endgültig ihre praktischer Relevanz verloren haben. Der BGH führt seine Rechtsprechung auch im Hinblick auf Beweislastverteilung und Rechtsnachfolgehaftung fort. Bei fehlender Offenlegung trägt der Gesellschafter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass zu dem relevanten Zeitpunkt des wirtschaftlichen Neustarts keine Differenz zwischen dem statutarischen Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens bestanden hat. Lag eine solche Unterbilanz vor, ist auch ein Erwerber von Geschäftsanteilen der GmbH zum Ausgleich verpflichtet, da die Ausgleichspflicht eine auf den Geschäftsanteil rückständige Leistung ist, für die der Erwerber von Gesetzes wegen haftet.
Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt stellt der BGH außerdem klar, dass der Tatbestand einer wirtschaftliche Neugründung auch dann gegeben sein kann, wenn nach der (Wieder-)Aufnahme des Geschäftsbetriebs (teilweise) die gleiche Art von Geschäften betrieben wird wie zuvor. Darüber hinaus setzt sich der BGH erstmals mit der Anwendbarkeit der oben beschriebenen Abgrenzungsgrundsätze auf den Fall einer Gesellschaft in Liquidation auseinander. Er bejaht diese, stellt sie jedoch unter den zutreffenden Vorbehalt, dass alleine die mit der Fortführung beabsichtigte Zweckänderung von einer Abwicklungsgesellschaft hin zu einer „werbenden Gesellschaft“ für die Annahme einer wirtschaftlichen Neugründung nicht ausreichend sei. Eine sich in Liquidation befindliche Gesellschaft sei nicht per se ein leerer Mantel, und auch wenn mit der Abwicklung eine vormals nach außen gerichtete Geschäftstätigkeit zum Erliegen kommen könne, reiche dies zur Annahme einer leeren Hülse nicht aus. Unter Bezugnahme auf bereits ergangene Rspr. zur wirtschaftlichen Neugründung in der Anlaufphase einer Gesellschaft (z. B. BGH-Beschluss vom 18. 1. 2010 – II ZR 61/09, DB 2010 S. 607) arbeitet der BGH heraus, dass eine die wirtschaftliche Neugründung ausschließende andauernde aktive unternehmerische Tätigkeit nicht stets mit dem dem Unternehmensgegenstand entsprechenden operativen Geschäft gleichzusetzen ist. Es kommt nach dem BGH vielmehr darauf an, ob in der Abwicklungsphase nennenswerte Liquidationsmaßnahmen wahrgenommen werden oder ob die Abwicklung über einen längeren Zeitraum nicht mehr betrieben wird; nur im letzteren Fall kann von dem Vorliegen einer leeren Hülse ausgegangen und eine wirtschaftliche Neugründung bejaht werden.
Auch wenn das aktuelle Urteil des BGH nur einen Teilbereich noch offener Fragestellungen zu den Grundsätzen der wirtschaftlichen Neugründung aufgreift ist die Entscheidung des BGH insgesamt zu begrüßen, setzt sie doch den im Jahr 2012 eingeschlagenen Weg einer weitgehend kalkulierbaren Haftung auch bei fehlender Offenlegung fort und bietet weitere Richtlinien für die nicht immer einfache Auslegung des Begriffes der wirtschaftlichen Neugründung.