Das mehr oder weniger seriöse Geschäft des sog. „Insolvenz-Tourismus“ ist schon länger bekannt. Im Kern geht es darum, den sog. COMI (Center of Main Interest) eines deutschen Schuldners in das EU-Ausland zu verlegen und dort die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einzuleiten. Das bevorzugte Ziel entsprechender Sanierungen ist dabei u. a. England, und zwar insbesondere wegen der sog. Restschuldbefreiung, die dort lediglich ein Jahr beträgt, dh nach Ablauf eines Jahres nach Eröffnung des Verfahrens ist der Schuldner schuldenfrei. Das ist aufgrund der europäischen Insolvenzverordnung Nr. 1346/2000 (EuInsVO) auch im Inland – also Deutschland – anzuerkennen, obwohl hierzulande die Restschuldbefreiung erst nach drei Jahren und auch nur dann eintritt, wenn eine Mindestbefriedigungsquote von 25 % erfüllt worden ist und die Verfahrenskosten bezahlt wurden. Die Sache wird dann problematisch und für die betroffenen Gläubiger sehr ärgerlich, wenn die Insolvenz letztlich auf betrügerischen Handlungen des Schuldners beruht und der – entsprechend beratene – Schuldner seinen COMI nur zum Schein verlegt, was die ausländischen Gerichte entweder nicht prüfen oder die Gläubiger dort nicht nachweisen können.
In einer Entscheidung vom 14. 1. 2014 – II ZR 192/13, DB 2014 S. 418 hat der BGH nun einen Weg aufgezeigt, wie solchen Schuldnern evtl. ein Strich durch die Rechnung gemacht werden kann – was aber einigen Aufwand mit sich bringt.
In dem konkreten Fall ging es um die Klage eines Sozialversicherungsträgers gegen den ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH, der Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung nicht abgeführt hatte, was in Deutschland einen Straftatbestand darstellt. Die GmbH war vermögenslos und der Geschäftsführer flüchtete sich in ein englisches Insolvenzverfahren, wo er nach einem Jahr die Restschuldbefreiung erhielt, auf die er sich in dem Prozess natürlich berief. Der Knackpunkt war nun, dass auch das englische Insolvenzrecht keine Restschuldbefreiung erteilt, wenn es um Ansprüche von Gläubigern geht, die auf betrügerischen Handlungen des Schuldners – einem „fraud“ oder einem „fraudulent breach of trust“ – beruhen. Die Frage war damit, ob die in Deutschland eingeklagten Ansprüche, die natürlich auf deutschem Recht beruhten, als „fraud“ im Sinne des englischen Rechts zu qualifizieren waren. In der Regel wird das durch ein Gutachten geklärt, dessen Kosten sich hier aber auf mehr als das Fünffache des eingeklagten Betrages belaufen hätten. Das Ausgangsgericht begnügte sich daher mit einer einfachen Auskunft des Foreign & Commonwealth Office, das aber lediglich die Rechtslage im allgemeinen wiedergab und ansonsten auf die Umstände des Einzelfalls verwies. Die Klage wurde daher in zwei Instanzen abgewiesen.
Der Kläger ging in Revision und erreichte zumindest die Zurückverweisung an das Berufungsgericht. Der BGH stellte in Bezug auf die Ermittlung des – an sich nicht revisiblen – englischen Rechts einen Verfahrensfehler fest. Das Gericht hätte die konkrete Anwendung des englischen Rechts auf den konkreten Fall feststellen müssen – und zwar nicht nur akademisch sondern in der konkreten Rechtspraxis, was u. a. auch zu der Untersuchung geführt hätte, ob es Umstände des Einzelfalles gegeben hat, die zu einem „fraud“ führen. Ob dies der Fall war, blieb naturgemäß offen, weil dies Sache der Berufungsinstanz ist. Der BGH gab aber einige weitreichende Denkanstöße mit auf den Weg. Zum einen wies er darauf hin, dass auch Vermögensstraftaten nach deutschem Recht keineswegs immer eine betrügerische Absicht des Täters erfordern – was einen „fraud“ durchaus infrage stellen kann -, und zum anderen stellte er fest, dass allein die streitwertüberschreitenden Kosten eines Gutachtens das Gericht nicht hindern dürfen, eben dieses einzuholen, wenn es keinen anderen Weg gibt. Schlussendlich stellte der BGH auch die Frage in den Raum, ob eine erleichterte Restschuldbefreiung dem Grundsatz des deutschen Ordre public standhalten kann – ist dies nicht der Fall, hätten die Folgen des ausländischen Rechts in Deutschland keine Bedeutung. Entsprechend geschädigten Gläubigern sind damit reichlich Argumente an die Hand gegeben, wie man durch eine ausländische Insolvenz geschützte Schuldner möglicherweise erfolgreich weiterverfolgen kann. An oberster Stelle steht dabei die gründliche Ermittlung des ausländischen Rechts, und zwar auch und vor allem deshalb, weil der Schuldner dies oftmals selbst nicht überblickt, obwohl er sich auf das ausländische Verfahren eingelassen hat.