Anfang April hat die EU-Kommission ihren mit großem Interesse erwarteten Entwurf einer Richtlinie (2014/0121 [COD]) zur Änderung der aus dem Jahre 2007 stammenden Aktionärsrechterichtlinie (2007/36/EG) vorgelegt. Die in der Änderungsrichtlinie enthaltenen Regelungen sollen v. a. zu einer stärkeren Überwachung der Vergütungspolitik börsennotierter Unternehmen sowie zu einer erhöhten Transparenz und Kontrolle bei Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen und Personen durch die Aktionäre führen. Die Änderungsrichtlinie soll zudem die „wahren“ Aktionäre leichter identifizierbar machen und die Transparenz mit Blick auf das Tätigkeitsfeld institutioneller Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater erhöhen.
Hinsichtlich der Vergütung der Unternehmensleitung sieht die Änderungsrichtlinie vor: Die Vergütungspolitik des Unternehmens muss turnusmäßig mindestens alle drei Jahre – unabhängig von etwaigen zwischenzeitlichen Veränderungen im Vergütungssystem – den Aktionären zur Genehmigung vorgelegt werden (Say-on-Pay). Die Rechtsfolgen einer ablehnenden Entscheidung bleiben im Einzelnen zwar unklar. Und im Gegensatz zu einem früheren Vorentwurf ist nicht mehr vorgesehen, dass bei Ablehnung des Vergütungssystems unmittelbar eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen werden muss. Mit Blick auf die Kompetenzordnung des deutschen Aktienrechts bestehen aber erhebliche Bedenken, der Hauptversammlung bei der Vorstandsvergütung materielle Entscheidungsbefugnisse einzuräumen. So würden die Vorgaben der Richtlinie zum Say-on-Pay einen empfindlichen Eingriff in die Personalkompetenz des Aufsichtsrats nach Prägung des deutschen Aktienrechts bedeuten. Damit einher geht letztlich auch eine deutliche Aufweichung der dualistischen Verwaltungsstruktur der deutschen Aktiengesellschaft. Angesichts dieser systematischen Grundsatzbedenken und der damit potenziell verbundenen Schwächung des Aufsichtsrats sowie der Arbeitnehmerbelange scheiterte kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode 2013 bereits die entsprechende deutsche Gesetzesinitiative zur Aktienrechtsnovelle im Bundesrat; zu Recht hat der deutsche Gesetzgeber im ansonsten weitgehend unveränderten und kürzlich veröffentlichten Referentenentwurf einer Aktienrechtsnovelle 2014 davon abgesehen, der Hauptversammlung hinsichtlich der Vorstandsvergütung verbindliche Entscheidungsbefugnisse einzuräumen.
Der Entwurf der Änderungsrichtlinie sieht vor, sowohl die Höchstbeträge der Gesamtvergütung und deren Zusammensetzung aus festen und variablen Bestandteilen als auch das Verhältnis der durchschnittlichen Mitarbeitervergütung zur Vergütung der Unternehmensleitung darzulegen. Entsprechende jährliche Angaben zu den Höchstbeträgen der Gesamtvergütung sowie zu der Zusammensetzung der Bestandteile im Vergütungsbericht sind nach der jüngsten Anpassung des Deutschen Corporate Governance Kodex für börsennotierte Gesellschaften bereits heute empfohlene Unternehmenspraxis; sie setzen allerdings voraus, dass entsprechende Höchstgrenzen in den Anstellungsverträgen der Vorstandsmitglieder auch tatsächlich vorgesehen sind. Unklar bleibt, ob der deutsche Gesetzgeber durch die Änderungsrichtlinie verpflichtet werden soll, entsprechende Höchstgrenzen gesetzlich vorzusehen.
Mit Blick auf die nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Mitgliedstaaten lebhaft geführten gesellschaftspolitischen Diskussionen zu der Vergütung von Unternehmensleitern überrascht es kaum, dass der Entwurf der Änderungsrichtlinie auch einen (vertikalen) Vergütungsvergleich vorsieht. Wie schon im Zusammenhang mit der seit Juni 2013 geltenden Empfehlung nach Nr. 4.2.2 Abs. 2 des Deutschen Corporate Governance Kodex, wonach der Aufsichtsrat entsprechende Vergütungsrelationen bei der Festlegung der Vergütung für Vorstandsmitglieder berücksichtigen soll, stellt sich auch hier die Frage: Kommt der Relation zwischen der durchschnittlichen Mitarbeitervergütung und der Vergütung der Unternehmensleitung ein verwertbarer und repräsentativer Aussagegehalt zu? Insbesondere im Hinblick auf die regional- und branchenspezifisch stark unterschiedlichen Vergütungsstrukturen in Unternehmen ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass bei der Entscheidung über das Vergütungssystem die spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens nicht hinreichend berücksichtigt werden und das Vergütungssystem von der Hauptversammlung allein anhand einer als gesellschaftspolitisch angemessen empfundenen Vergütungsrelation beurteilt wird.
Nach den Vorgaben der Richtlinie soll ferner der Vergütungsbericht des abgelaufenen Geschäftsjahres jährlich auf der Hauptversammlung den Aktionären zur Abstimmung vorgelegt werden. Lehnen diese den Vergütungsbericht ab, hat das Unternehmen im nächsten Vergütungsbericht zu erklären, ob und ggf. wie der Kritik der Aktionäre Rechnung getragen worden ist. Mit diesem Instrument ist indes keine materielle Eingriffsbefugnis der Aktionäre in das Vergütungssystem verbunden; es handelt sich hierbei allein um eine Transparenz- und Darstellungskontrolle.
Besonders kritisch zu beurteilen ist auch die vorgesehene Kontrolle von Geschäften mit nahe stehenden Unternehmen und Personen durch die Hauptversammlung: Nach der Änderungsrichtlinie müssen Transaktionen mit nahe stehenden Unternehmen und Personen, die mehr als 5% des Vermögens des Unternehmens betreffen oder Transaktionen, die erhebliche Auswirkungen auf den Gewinn oder den Umsatz des Unternehmens haben können, den Aktionären im Rahmen einer Hauptversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden. Sie dürfen erst nach Genehmigung durch die Aktionäre vollzogen werden. Dadurch soll verhindert werden, dass dem Unternehmen maßgebliche Werte zulasten der (Minderheits-)Aktionäre ohne deren Zustimmung entzogen werden können. Selbst im gesetzlich geregelten Ausnahmefall der Übertragung des gesamten Vermögens eines Unternehmens (§ 179a AktG), aber auch in den von der Rspr. entwickelten sogenannten Holzmüller-Fällen, in denen der Vorstand ausnahmsweise verpflichtet ist, der Hauptversammlung in das Vermögen der Gesellschaft maßgeblich eingreifende Transaktionen zur Zustimmung vorzulegen, gilt: Die Rechtswirksamkeit des Vollzugs solcher Maßnahmen hängt nicht von der Zustimmung der Hauptversammlung ab. Eine Missachtung der Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung kann vielmehr (lediglich) eine Pflichtverletzung des Vorstands begründen. Der Entwurf der Änderungsrichtlinie greift auch in diesem Punkt nachhaltig in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge ein, indem er die auf das Unternehmensinteresse ausgerichtete Leitungsautonomie des Vorstands zugunsten der Aktionäre einschränkt. Die vorgesehene Regelung könnte den Abschluss von M&A-Transaktionen unter Beteiligung von Aktiengesellschaften künftig weitreichend erschweren oder faktisch sogar völlig unterbinden. Gerade bei Fusionen und Übernahmen, bei denen oftmals schnelles Handeln erforderlich ist, dürfte die vorherige Entscheidung der Hauptversammlungen der beteiligten Unternehmen mindestens hemmend wirken. Dies gilt insbesondere, weil Beschlussmängelklagen die Wirksamkeit der erforderlichen Zustimmung über Jahre verzögern können und kritischen Aktionären damit ein erhebliches Erpressungspotenzial zukäme.
Positiv zu bewerten ist hingegen der in der Änderungsrichtlinie vorgesehene Auskunftsanspruch der Unternehmen gegen Finanzintermediäre, wie etwa Depotbanken, im Hinblick auf die Identifizierung der eigentlichen Aktionäre, die den Unternehmen vielfach aufgrund wenig transparenter Verwahrketten nicht konkret bekannt sind. Ein vergleichbares gesetzliches Auskunftsregime sieht das deutsche Aktiengesetz gegenwärtig lediglich im Falle von Namensaktien für Zwecke der Führung des Aktienregisters vor (§ 67 AktG). Mit Hilfe des in der Änderungsrichtlinie vorgesehenen umfassenden Auskunftsanspruchs wird v. a. auch eine erleichterte Kommunikation insbesondere mit internationalen Aktionären beabsichtigt, um höhere Präsenzquoten auf den Hauptversammlungen zu erzielen und damit sicherzustellen, dass wichtige Entscheidungen von der Mehrheit aller Aktionäre getragen werden.
Ebenfalls zu begrüßen ist, dass die Richtlinie dazu beitragen will, die Transparenz im Hinblick auf institutionelle Anleger und Vermögensverwalter sowie deren Anlagestrategien zu erhöhen. Dies gilt gleichermaßen für die Aktivitäten und hierbei verwendeten Methoden von Beratern für Stimmrechtsvertretung und etwaige insoweit bestehende Interessenkonflikte.
Die parlamentarischen Beratungen über die Änderungsrichtlinie werden wohl erst nach den anstehenden Wahlen zum EU-Parlament, das heißt in der zweiten Jahreshälfte 2014 aufgenommen, sodass mit einer Verabschiedung der Richtlinie frühestens 2015 zu rechnen ist. Für die Umsetzung der Richtlinie durch die Anpassung des Aktiengesetzes hätte der deutsche Gesetzgeber dann weitere 18 Monate Zeit. Dabei wird auch zu klären sein, ob − wie vielfach angezweifelt − das Vorhaben der Kommission unter Subsidiaritätsaspekten zulässig ist.