Missbräuchliche Rabatte bei Marktbeherrschung – Der Fall „Intel“

RA Dr. Carsten Grave, Partner, Linklaters LLP, Düsseldorf

RA Dr. Carsten Grave, Partner, Linklaters LLP, Düsseldorf

Das EuG hat das von der EU-Kommission verhängte Rekord-Bußgeld i.H.v. 1,06 Mrd. € gegen den Prozessor-Hersteller Intel bestätigt (s. EU-Kommission, Entscheidung vom 13.05.2009 – COMP/37.990, Intel, und EuG-Urteil vom 12.06.2014 – T-286/09, Intel, im Folgenden: Intel-Urteil). Für marktbeherrschende Unternehmen wird die kartellrechtskonforme Gestaltung von Rabatten damit (weiter) erschwert. Die Praxis lässt das Urteil mit der Frage zurück, warum für ähnliche Rabatte unterschiedliche rechtliche Maßstäbe gelten.

Entscheidung der EU-Kommission

Die EU-Kommission hatte Intel vorgeworfen, seine marktbeherrschende Stellung – Intel habe einen Marktanteil von mehr als 70% – von 2002-2007 missbräuchlich ausgenutzt zu haben. Denn Intel habe führenden Computerherstellern Rabatte unter der Bedingung gewährt, dass sie alle (oder nahezu alle) von ihnen benötigten Mikroprozessoren vom Typ x86 bei Intel kauften. Die Kommission ahndete dies mit einem Bußgeld von 1,06 Mrd. €. Intel legte dagegen Rechtsmittel ein.

Entscheidung des EuG

Das EuG hat das Bußgeld bestätigt. Das EuG hat die von Intel an vier Computerhersteller gewährten Rabatte als missbräuchliche „Ausschließlichkeits-Rabatte“ angesehen (Intel-Urteil, Rn. 71 ff). Das Gericht unterschied dabei zwischen (i) Mengenrabatten (quantity rebates), (ii) Ausschließlichkeits-Rabatten (exclusivity rebates) und (iii) anderen Treuerabatten (s. Intel-Urteil, Rn. 75 ff.).

Mengenrabatte eines marktbeherrschenden Unternehmens seien „allgemein“ und „vermutlich“ unbedenklich, da durch sie Größenvorteile weitergegeben würden (Intel-Urteil, Rn. 75).

Für Ausschließlichkeits-Rabatte, die gewährt werden, wenn der Abnehmer (fast) seinen gesamten Bedarf an einem Produkt von dem marktbeherrschenden Unternehmen bezieht, gilt das nicht. Diese Rabatte würden nämlich Abnehmer davon abhalten, Waren von Wettbewerbern zu beziehen. Das verschließe „naturgemäß“ den Markt für Wettbewerber und erschwere den Marktzutritt von Wettbewerbern (Rn. 85 ff.). Ausschließlichkeits-Rabatte von marktbeherrschenden Unternehmen seien daher missbräuchlich i.S.d. Art. 102 AEUV.

In die dritte Kategorie schließlich fielen „andere“ Treuerabatte. Hier sei der Rabatt nicht von ausschließlichen Bezug abhängig, aber setze auf andere Weise Anreize, ein „treuer“ Abnehmer zu sein, der seinen Bedarf letztlich doch ausschließlich beim marktbeherrschenden Anbieter deckt. Dann seien sämtliche Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung zu prüfen, um ggf. die abschottende Wirkung festzustellen. Das EuG verweist hier auf die Fälle EuGH-Urteil vom 09.11.1983 – Rs. 322/81, Michelin I, Rn. 73 (der Fall betraf individuelle Zielrabatte) und EuGH-Urteil vom 15.03.2007 – Rs. C‑95/04 P, British Airways, Rn. 67 (der Fall betraf „Steigerungsrabatte“).

Folgen der Entscheidung

In jeder der drei Kategorien von Rabatten wird das Intel-Urteil die Praxis vor Herausforderungen stellen:

Mengenrabatte (und gemeint sind wohl Rabattsysteme, deren Mengenschwellen auf alle Abnehmer gleichermaßen anwendbar sind) sind zulässig, wenn durch sie Größenvorteile weitergegeben werden. Das ist also eine Tatfrage und ggf. festzustellen – wenn auch dem Unternehmen die Vermutung zu Hilfe kommen mag, die das EuG zugunsten der Zulässigkeit von Mengenrabatten aufstellt. Aber unter besonderen Umständen sind die Kartellbehörden auch schon gegen solche Mengenrabatte vorgegangen (s. BKartA-Beschluss vom 19.05.2012 – B3-139/10, Merck, Rn. 8).

Bei den Ausschließlichkeits-Rabatten ist marktbeherrschenden Unternehmen – vorerst – eine mögliche Verteidigung verwehrt, nämlich dass die Rabatte Wettbewerber realistisch nicht hätten behindern können. Das ist bei Vergleich mit der dritten Fallgruppe (dazu sogleich) schwer verständlich, u.a. weil es beim Wort genommen nahelegt, dass Ausschließlichkeits-Rabatte ohne Rücksicht auf deren Verbreitung behindernd wirken. Das würde also auch für einen einzigen solchen Rabatt gelten, den das marktbeherrschende Unternehmen dem – nach Umsatz – kleinsten seiner Kunden gewährt. Aber auch in anderen Fallgruppen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung sind die Gerichte vom „formbasierten“ Ansatz, der nur auf die Art des missbräuchlichen Verhaltens schaut und damit einem per se-Verbot ähnelt, schlussendlich zu einer Analyse der Wirkungen im Einzelfall übergegangen (s. EuGH vom 27.03.2012 – Rs. C-209/10, Post Danmark AS, betreffend selektive Rabatte).

Für die dritte Kategorie schließlich, wo die Analyse der Wirkungen des Rabattsystems im Einzelfall erforderlich ist, hält das Intel-Urteil fest, dass der sog. as-efficient-competitor test die Kartellrechtswidrigkeit weder nachweisen noch widerlegen kann. Er betrachtet (vereinfacht) nämlich nur, ob ein effizienter Wettbewerber dem marktbeherrschenden Unternehmen Kunden abspenstig machen kann, indem er den Kunden für den Verlust des Rabatts kompensiert, den der Marktbeherrscher bereit ist zu gewähren. Das ist für das EuG ggf. aber nur der Nachweis, dass Markteintritt trotz der Rabattpolitik des marktbeherrschenden Unternehmens möglich ist, aber missbräuchlich kann auch schon das Erschweren des Markteintritts sein (Intel-Urteil, Rn. 140 ff.). Das EuG verlangt vielmehr eine Analyse der Auswirkungen des Rabattsystems auf die Wettbewerber, ohne dass diese Analyse „quantitativ“ sein müsste. Dazu gehört, ob die Rabatte „rückwirkend“ gewährt werden (also auf bereits vor Erreichen der Rabattschwelle bezogene Produkte), wie lang der Referenzzeitraum für die Berechnung des Rabatts ist, ob die Umsatzschwellen für den Rabatt für jeden Abnehmer individuell festgelegt werden, oder ob der Rabatt an die Steigerung des Umsatzes mit dem marktbeherrschenden Unternehmen anknüpft. Dass die aus der bisherigen Entscheidungspraxis abzuleitenden Kriterien nicht abschließend sind, macht die Analyse nicht leichter.

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