Das Arbeitszeugnis ist eine spezifisch deutsche Eigenheit. International, gerade im angelsächsischen Raum, ist es weitgehend unbekannt – dort sind reine Tätigkeitsbeschreibungen und gegebenenfalls Referenzschreiben üblich. Sofern man eine Top-Universität besucht hat, werden umfangreiche schriftliche Bewerbungsunterlagen regelmäßig nicht verlangt. Wird im Rahmen einer Bewerbung außerhalb Deutschlands ein Arbeitszeugnis übermittelt, ruft die darin enthaltene detaillierte Bewertung von Verhalten und Leistung oftmals Verwunderung hervor. Gleiches dürfte für einzelne Entscheidungen gelten, die deutsche Arbeitsgerichte in der Vergangenheit zu Arbeitszeugnissen zu fällen hatten. So hat etwa das Arbeitsgericht Kiel entschieden, dass ein in die Unterschrift des Zeugnisausstellers integriertes „Smiley“ ein unzulässiges Geheimzeichen sei (ArbG Kiel, Urteil vom 18.04.2013 – 5 Ca 80 b/13). Interessanterweise musste der Arbeitgeber die Unterschrift, die zunächst ein Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln enthielt, nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts mit einem „lachenden“ Smiley versehen, da er selbst vorgetragen hatte, stets so zu unterzeichnen. Auch die eher banale Frage, ob der Arbeitgeber ein Arbeitszeugnis falten darf, hat das BAG bereits beschäftigt. Eine zweifache Faltung sei zulässig, sofern das Originalzeugnis kopierfähig ist und die Knicke im Zeugnisbogen sich nicht auf den Kopien abzeichnen, etwa durch Schwärzungen (BAG-Urteil vom 21.09.1999 – 9 AZR 893/98, DB 2000 S. 282).
Im Berichtigungsprozess ist die Frage, wer für die der Zeugnisbewertung zu Grunde liegenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist, regelmäßig mitentscheidend. Nunmehr hat das BAG erneut entschieden, dass der Arbeitnehmer entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen muss, wenn er eine bessere Beurteilung als „befriedigend“ beansprucht (Note 3). Dies gilt nach der Pressemitteilung des BAG auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute oder sehr gute Endnoten vergeben werden (PM Nr. 61/14 zu BAG-Urteil vom 18.11.2014 – 9 AZR 584/13).
Der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis…
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis. In aller Regel wird dabei ein sogenanntes qualifiziertes Zeugnis verlangt, in dem neben Mindestangaben zu Art und Dauer der Beschäftigung auf Verlangen auch Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers bewertet werden. Nachdem die gesetzlichen Vorgaben denkbar knapp sind, unterliegt das Zeugnisrecht in erhöhtem Maße der Fortbildung und Bewertung durch die Arbeitsgerichtsbarkeit. Das Zeugnis soll zum einen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers dienen, zum anderen soll es Dritten ermöglichen, eine informierte Entscheidung für oder gegen einen Stellenbewerber zu treffen. Hinsichtlich der äußeren Form ist vor allem zu beachten, dass die Verwendung sogenannter Geheimzeichen unzulässig ist. Das Zeugnis darf keine Merkmale enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. So darf zum Beispiel kein außergewöhnliches Papier oder eine ungewöhnliche Schriftart verwendet werden. Auch Unterstreichungen oder potentiell doppeldeutige Hervorhebungen sind unzulässig.
Inhaltlich gelten für das Arbeitszeugnis die beiden Gebote der Zeugniswahrheit und der Zeugnisklarheit. Basierend auf den Vorgaben der Rechtsprechung haben sich viele Formulierungen und Umschreibungen entwickelt, deren „Entschlüsselung“ zahlreiche Fachbücher füllt. Aufgrund der Unübersichtlichkeit der Thematik sei an dieser Stelle nur auf die sogenannte Zufriedenheitsskala hingewiesen: Danach entsprechen bestimmte Formulierungen den Schulnotenstufen von sehr gut bis ungenügend. Dass der Arbeitnehmer die übertragenen Aufgaben „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ erledigt hat, entspricht zum Beispiel der Notenstufe „sehr gut“. Völlig ungenügende Leistungen können unter anderem mit der Formulierung ausgedrückt werden, dass der Arbeitnehmer die übertragenen Aufgaben „mit großem Fleiß und Interesse durchgeführt“ habe. Nach dem BAG sei dies die Erklärung, dass der Arbeitnehmer sich zwar bemüht, im Ergebnis jedoch nichts geleistet habe (BAG-Urteil vom 24.03.1977 – 3 AZR 232/76). Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Einzelbewertungen und Gesamtbewertung sich decken sollten. Andernfalls kann der Arbeitnehmer Zeugnisberichtigung verlangen, weil das Zeugnis in diesen Fällen in sich nicht stimmig ist.
…und seine gerichtliche Geltendmachung
Klagt ein Arbeitnehmer auf Berichtigung eines Arbeitszeugnisses, so muss er im Klageantrag angeben, welche Formulierungen wie korrigiert werden sollen. Die Regeln der Beweislast entsprechen dabei den allgemeinen Grundsätzen, nach denen ein Anspruchsteller grundsätzlich die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat. Wie sich dies auf die Darlegungs- und Beweislast im Berichtigungsprozess auswirkt, ist umstritten. Ohne auf die dogmatischen Feinheiten einzugehen, sei hier kurz die bisherige Auffassung des BAG wiedergegeben: Danach ist grundsätzlich ein Zeugnis mit einer durchschnittlichen Leistung auszustellen (Bewertung bisher: “zur vollen Zufriedenheit”). Soll das Zeugnis sehr gute oder gute Leistungen bescheinigen, muss der Arbeitnehmer die tatsächliche Grundlage für eine solche Bewertung vortragen und gegebenenfalls beweisen. Stellt der Arbeitgeber hingegen eine ausreichende oder noch schlechtere Bewertung aus, obliegt ihm hierfür die Darlegungs- und Beweislast.
BAG behält bisherige Rechtsprechung bei
Die Entscheidung des BAG vom 18.11.2014 bestätigt die bisherige Rechtsprechung zum Zeugnisrecht. Die Erfurter Richter sahen, anders als die Vorinstanzen, keinen Anlass für eine Verschiebung der Darlegungs- und Beweislast um eine Notenstufe nach oben – sie verwiesen die Sache auf die Revision des Arbeitgebers an das Landesarbeitsgericht zurück. Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die sich mit der Gesamtbewertung ihrer Leistungen als „zu unserer vollen Zufriedenheit“ nicht abfinden wollte (Note 3). Die Formulierung sei auf „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ anzuheben (Note 2), da es sich bei einer Leistungsbewertung mit befriedigend nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens nicht mehr um eine durchschnittliche Beurteilung handele.Zu diesem Ergebnis sei eine Studie der Universität Nürnberg-Erlangen aus dem Jahre 2011 gelangt. Die Wissenschaftler hatten festgestellt, dass die Mehrzahl der Zeugnisse in Deutschland mit gut oder sehr gut bewertet werden (2011: 87,3% der Zeugnisse; 2010: 68,1%).
Diese Studie scheint das BAG wenig beeindruckt zu haben. Nach der Presseerklärung sei für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten abzustellen, sondern auf die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Es sei nicht nachgewiesen, dass tatsächlich neun von zehn Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen erbringen. Damit könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO richte sich aber auf ein inhaltlich „wahres“ Zeugnis. Wer eine gute Leistung bescheinigt sehen will, muss dies auch weiterhin unter Beweis stellen.
Arbeitszeugnisse als überflüssige Tradition?
Die Entscheidung des BAG ist richtig. Der gesetzliche Zeugnisanspruch bezieht sich auf ein leistungsgerechtes Zeugnis, nicht auf ein „gutes“ oder ein „marktübliches“ Zeugnis. Dass das Arbeitszeugnis hinsichtlich seines Aussagegehalts weitgehend entwertet sein dürfte und in der Praxis tatsächlich oftmals Gefälligkeitszeugnisse vergeben werden, ändert an der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nichts. Eine Art Gleichbehandlungsanspruch in der Unwahrheit ist dem Zeugnisrecht fremd, genauso wie ein Anspruch auf ein Gefälligkeitszeugnis.
Unabhängig von der Entscheidung des BAG vom 18.11.2014 ist fraglich, was die Zukunft für Arbeitszeugnisse in Deutschland bringen wird. Einerseits ist die Vorlage von Arbeitszeugnissen im Rahmen einer Bewerbung weiterhin unbedingt erforderlich. Andererseits stellt kein Personalverantwortlicher einen Arbeitnehmer ein, weil dieser ein besonders schön formuliertes Zeugnis vorweisen kann. Ein Tätigwerden des Gesetzgebers ist einstweilen nicht zu erwarten. Eine am eingangs erwähnten internationalen Maßstab orientierte schlichte Tätigkeitsbeschreibung, gegebenenfalls verbunden mit einem Referenzschreiben, würde dem Gebot der Zeugniswahrheit jedenfalls in weit höherem Maße gerecht werden, als die oftmals per Computerprogramm erstellten standardisierten Lobpreisungen im traditionellen deutschen Arbeitszeugnis. Diese werden vielfach nicht einmal mehr gelesen. Wenn aber ohnehin bereits jetzt der persönliche Eindruck im Vorstellungsgespräch neben der vorhandenen Qualifikation hauptausschlaggebend für eine Stellenbesetzung ist, wäre ein Verschwinden des qualifizierten Arbeitszeugnis mitsamt der ausufernden Kasuistik um seine Formulierung nicht allzu beklagenswert.