In EU-Kartellverfahren macht die Kommission üblicherweise keine Angaben, wie eine Geldbuße zwischen den unmittelbar am Kartell beteiligten Tochtergesellschaften und ihrer Muttergesellschaft aufgeteilt werden soll. Der Kartellsenat des BGH hat in einem Urteil vom 18.11.2014 – KZR 15/12 die für die Durchführung des Innenausgleichs nach deutschem Recht maßgeblichen Parameter weiter präzisiert.
Lange Dauer von EU-Kartellverfahren
In EU-Kartellverfahren liegen meist mehrere Jahre zwischen dem Beginn der Ermittlungen und der Bußgeldentscheidung der EU-Kommission. Nicht selten veräußern Unternehmen während dieses Zeitraums Tochtergesellschaften, bei denen sich später herausstellt, dass sie an einem Kartell beteiligt waren. Waren zum Zeitpunkt des Verstoßes die einschlägigen konzerninternen Zurechnungsvoraussetzungen erfüllt, hat dies zur Folge, dass die EU-Kommission eine gesamtschuldnerische Haftung von Gesellschaften, die längst nicht mehr zu derselben Unternehmensgruppe gehören, für das verhängte Bußgeld annimmt. Dies wirft die praktisch bedeutsame Frage auf, nach welchen Maßgaben sich ehemals miteinander verbundene Mutter- und Tochtergesellschaften im Anschluss an eine Inanspruchnahme durch die Kommission gegenseitig in Regress nehmen können.
Leitlinien des EuGH
EuGH und jetzt auch BGH haben in aktuellen Urteilen für mehr Klarheit zur Bewertung von Ausgleichsansprüchen in derartigen Konstellationen gesorgt. Im April 2014 hat zunächst der EuGH in der Rs. Siemens Österreich (Az. C-231/11 P) zwei wichtige Grundaussagen getroffen. Zum einen hat er klargestellt, dass für Streitigkeiten über die interne Aufteilung einer gesamtschuldnerisch verhängten Geldbuße allein die nationalen Gerichte zuständig sind und die EU-Kommission diesbezüglich keine Kompetenzen hat (anders noch das EuG in der Vorinstanz). Zum anderen machte der EuGH deutlich, dass die Aufteilung auf der Grundlage des nationalen Rechts zu erfolgen hat, das allerdings europarechtskonform ausgelegt werden müsse. Ergänzend gab der Gerichtshof den leicht kryptisch anmutenden Hinweis, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, nach der die Anteile der Gesamtschuldner „unter Berücksichtigung ihrer Verantwortung oder ihrer relativen Schuld“ zu bestimmen seien.
BGH präzisiert Parameter
Der Kartellsenat des BGH hat daran anknüpfend in seinem Urteil vom 18.11.2014 die für die Durchführung des Innenausgleichs nach deutschem Recht maßgeblichen Parameter genauer bestimmt. Geklagt hatte eine Beteiligungsgesellschaft gegen ihre einstigen, an einem Kartell beteiligten Tochtergesellschaften, die sie vor der Bußgeldentscheidung der EU-Kommission veräußert hatte. LG und OLG München hatten jeweils für eine generelle Haftung der (früheren) Muttergesellschaft plädiert und daher die Klage abgewiesen. Der BGH hat einer solchen Schwarz-Weiß-Lösung eine klare Absage erteilt.
Ausgehend von § 426 Abs. 1 BGB als einschlägiger Anspruchsgrundlage hebt der BGH hervor, dass alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Dazu zählten insbesondere die den Beteiligten anzulastenden Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sowie die ihnen aufgrund des Kartellverstoßes zugeflossenen Mehrerlöse und sonstigen Vorteile. Diese Lösung mag zwar Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit aufwerfen. Sie erscheint aber letzten Endes sachgerecht, da es bei der Prüfung von Ausgleichsansprüchen keinen triftigen Grund gibt, die komplexen Rechtsfragen auszublenden, welche sich aus der Teilnahme an einem Kartell ergeben.
Der BGH weist ferner darauf hin, dass Ausgleichsansprüche der Muttergesellschaft ausgeschlossen sein können, wenn ein Gewinnabführungsvertrag vorliegt. Es wird der Klärung bedürfen, ob eine solche Vereinbarung nur als ein Element unter vielen im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist oder ob der Nachweis einer solchen Vereinbarung ausreicht, um einen Ausgleichsanspruch abzulehnen. Der BGH hat die Sache an das zuständige OLG zurückverwiesen und nicht selbst geurteilt. Nach dem bisherigen Stand der Dinge lässt sich keine klare Prognose zum endgültigen Ausgang des Verfahrens treffen.
Folgen der Entscheidung
Die von EuGH und BGH gewählte Linie ist zu begrüßen. Die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission ist nicht darauf ausgerichtet, die Höhe von zivilrechtlichen Ausgleichsansprüchen festzulegen. Es handelt sich insofern um eine originäre Aufgabe der Gerichte. In der Sache selbst haben die Gerichte den Rechtsanwendern für die Bestimmung des Innenausgleichs vertraute Kriterien an die Hand gegeben, auch wenn deren Anwendung im konkreten Fall hochkomplex sein kann. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die besprochenen Fragen nur das EU-Kartellrecht betreffen. Dem deutschen Kartellrecht ist diese Problematik fremd – nach OWiG werden weiterhin nur die unmittelbar am Kartellverstoß beteiligten Unternehmen bebußt, sodass sich die Frage des Innenausgleichs zwischen früher miteinander verbundenen Unternehmen nicht stellt.