Seit es Gewerkschaften gibt, möchten Arbeitgeber wissen, welche ihrer Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft sind. Nicht zuletzt zum Schutze der Gewerkschaftsmitglieder vor Repressalien (unberechtigten Kündigungen etc.) schützt das deutsche Arbeitsrecht seit mehr als 100 Jahren die Anonymität von Gewerkschaftsmitgliedern. Gleichwohl wird sowohl in der Tagespresse als auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum immer wieder darüber diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber vielleicht doch dazu berechtigt sein könnte, die Gewerkschaftsmitgliedschaft seiner Arbeitnehmer zu erfragen.
Der BAG-Beschluss vom 18. November 2014
Das BAG hatte sich jüngst (1 AZR 257/13, PM Nr. 62/14 d. BAG) erneut mit dieser Frage zu beschäftigen. Hintergrund war eine Sonderkonstellation, ein so genannter tarifpluraler Betrieb. Als tarifplural wird ein Betrieb bezeichnet, in dem mehrere Gewerkschaften (für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen) die tarifvertragliche Vertretungsmacht reklamieren. In aller Munde ist dies aktuell für den Deutsche Bahn Konzern vor dem Hintergrund des Streites zwischen GDL und EVG. Im vom BAG entschiedenen Fall handelt es sich um ein kommunales Verkehrsunternehmen, in dem der Arbeitgeber bereits einen Tarifvertrag mit ver.di abgeschlossen hatte und sich nun der angekündigten Urabstimmung der GDL ausgesetzt sah.
In dieser Konstellation forderte der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer auf, ihm – unter Angabe von Name und Personalnummer – mitzuteilen, wer Mitglied der GDL sei. Dagegen wehrte sich die GDL gerichtlich. Während das Arbeitsgericht den Anträgen der GDL auf Untersagung der Befragungsaktion vollumfänglich und das Landesarbeitsgericht mehrheitlich entsprach, entschied das BAG zugunsten der Arbeitgeberseite.
Kein generelles Fragerecht
So eindeutig die Entscheidung im Ergebnis ist, so irreführend ist sie doch. Das BAG hat mitnichten entschieden, dass der Arbeitgeber zu Recht seine Arbeitnehmer nach der Mitgliedschaft in der GDL befragt hat. Das BAG hat den Antrag der GDL lediglich als unbegründeten Globalantrag gewertet, da die GDL die entsprechende Untersagung für alle denkbaren Fallkonstellationen forderte. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes kann es aber Fälle geben, in denen der Arbeitgeber zu Recht nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft seiner Arbeitnehmer fragt. Dummerweise lässt das BAG offen, in welchen Fallgestaltungen dies sein soll.
Stattdessen hebt das Bundesarbeitsgericht in der Pressemitteilung – eine vollständige Begründung liegt noch nicht vor – darauf ab, dass die Frage nach der Mitgliedschaft der Arbeitnehmer in der GDL einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit der GDL darstellt, der – im Zusammenhang mit der Urabstimmung und der drohenden Arbeitskampfauseinandersetzung – lediglich darauf abziele, die Arbeitskampfstärke der GDL besser analysieren und dadurch schwächen zu können.
Das BAG führt ferner aus, dass das Interesse einer Durchsetzung des ver.di-Abschlusses die Befragungsaktion nicht rechtfertigen könne. Warum das so ist, teilte das BAG jedenfalls in der Pressemitteilung nicht mit. Naturgegeben würde eine Frage nach der ver.di-Mitgliedschaft offenbaren, für welche Arbeitnehmer der ver.di-Tarifabschluss unmittelbar und zwingend wirkt. Überdies hat der kommunale Arbeitgeber aber auch ein Interesse daran, den ver.di-Tarifabschluss bei den übrigen Arbeitnehmern, bei denen gewiss eine tarifliche Bezugnahme im Anstellungsvertrag vorgesehen ist, umzusetzen. Eine solche Bezugnahmeklausel werden aber auch die GDL-Mitglieder in ihren Anstellungsverträgen aufweisen. Für sie gälte der GDL-Tarifvertrag nur, sobald er abgeschlossen wird. Insofern spricht jedenfalls manches für die Richtigkeit der Argumente des BAG in der Pressemitteilung.
Ausblick und Fragestellung
Gleichwohl bleibt die Frage aktuell und gewinnt an Bedeutung, ob und wann der Arbeitgeber die Gewerkschaftsmitgliedschaft seiner Arbeitnehmer erfragen darf. Seit dem Entstehen der ersten Gewerkschaften hat sich manches getan. Das Kündigungsschutzgesetz schützt alle Arbeitnehmer vor unberechtigten Kündigungen. So leicht, wie dies in der Presse immer wieder behauptet wird, ist die Trennung von Arbeitnehmern/Gewerkschaftsmitgliedern nicht. Zudem sehen sich Arbeitgeber immer häufiger der Situation auseinandergesetzt, von zwei Gewerkschaften mit Streikmaßnahmen überzogen zu werden. Zum einen erfordert das, jedenfalls wenn eine berufsgruppenspezifische Trennung nicht stattfindet (wie typischerweise bei der GDL) eine Differenzierung durch den Arbeitgeber, die traditionell so nie gewollt war. Dazu muss der Arbeitgeber aber die Gewerkschaftsmitgliedschaft seiner Arbeitnehmer kennen. Oder soll das Ergebnis wirklich sein, dass jeder Arbeitnehmer dazu gezwungen wird, die Rechte aus dem für ihn qua Gewerkschaftsbindung geltenden Tarifvertrag jeweils arbeitsgerichtlich einklagen zu müssen?
Zudem basiert das Arbeitskampf-/Tarifsystem auf der Kampfparität zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft. Die Gewerkschaft ruft zum Streik auf, der Arbeitgeber kann aussperren. Aussperren darf der Arbeitgeber aber nicht die Arbeitnehmer, für die ein anderer Tarifvertrag und damit Friedenspflicht gilt. Andernfalls wird seine Kampfmaßnahme, die Aussperrung, insgesamt rechtswidrig. Umgekehrt wird es dem Arbeitgeber – ohne Kenntnis der Gewerkschaftsmitgliedschaft – unmöglich, sich gegen die rechtswidrige Streikbeteiligung von Arbeitnehmern zu wehren, die als Mitglied der konkurrierenden Gewerkschaft eigentlich an die Friedenspflicht gebunden sind. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.
Früher oder später wird das BAG, das selbst die aktuellen Geister der Tarifpluralität gerufen hat, Antworten auf diese Fragen zu finden haben. Bedauerlich ist, dass so lange die Arbeitskampfparität gestört bleibt und Rechtssicherheit verwehrt wird.