Ruhig war es geworden um die vor fast zwei Jahren im Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ angekündigte AÜG-Reform, wohl auch weil Mindestlohn und die missglückte Reform des Arbeitsstättenverordnung Vorrang hatten. Die Ruhe vor dem Sturm? Laut Handelsblatt will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles im Herbst – Ende September oder Anfang Oktober – einen Gesetzentwurf präsentieren; ein Kabinettsbeschluss soll bis Ende des Jahres vorliegen. Dem Handelsblatt zufolge will sich die Ministerin bei dem Gesetzentwurf eng an die Koalitionsvereinbarungen halten und nicht darüber hinausgehen. Was kommt auf Zeitarbeits- und Einsatzunternehmen zu?
Werkverträge: Informationsrecht des Betriebsrats
Betriebsräte sollen ein Informationsrecht beim Einsatz von Fremdpersonal auf Grundlage von Werkverträgen bekommen. Frau Nahles wird im Handelsblatt zitiert mit den Worten: „Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte sind nicht verabredet, und die werde ich auch nicht vorlegen“.
Damit hält sie sich an die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Hier ist unter der Überschrift „Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern“ festgelegt, dass Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sichergestellt werden müssen, um „rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen“ zu verhindern. „Echte“ Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hatte man nicht im Blick.
Die beabsichtigten Informations- und Unterrichtungsrechte sind allerdings überflüssig: Schon nach geltendem Recht hat der Betriebsrat Auskunftsansprüche beim Einsatz von Fremdpersonal. Er kann insbesondere verlangen, dass ihm Werkverträge vorgelegt werden, um zu prüfen, ob tatsächlich ein Werkvertragsverhältnis vorliegt.
Sanktionierung von Scheinwerkverträgen – Das Ende der Fallschirmlösung!
Die „Vorratserlaubnis“ soll bei Schweinwerk- und -dienstverträgen nicht mehr helfen (vgl. dazu de lege lata die Urteile des LAG Baden Württemberg vom 18.12.2014 – 3 Sa 33/14, dazu den Blogbeitrag von Zimmermann, 03.12.2014 – 4 Sa 41/14, 09.04.2015 – 3 Sa 53/14 und 07.05.2015 – 6 Sa 78/14 und zuletzt den Blogbeitrag von Bissels). Im Koalitionsvertrag steht: „Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht besser gestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt.“
Scheinwerk- und -dienstverträge mit Erlaubnis sollen damit der Überlassung ohne Erlaubnis gleichgestellt werden: In beiden Fällen soll künftig über § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum vermeintlichen Werkbesteller/Dienstberechtigten zustande kommen. Nur wenn bei vorhandener Erlaubnis die Überlassung eindeutig als solche kenntlich gemacht und bezeichnet ist, also „offen“ überlassen wird, soll diese Rechtsfolge ausbleiben. Andernfalls kommt es zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Einsatzunternehmen – und das Einsatzunternehmen haftet als Arbeitgeber für die Beiträge zur Sozialversicherung und Lohnsteuer.
Bislang entsprach es der Praxis, im Grenzbereich zwischen Überlassung und Werk-/Dienstvertrag vorsorglich eine Überlassungserlaubnis zu beantragen, um die Folgen illegaler Überlassung abzuwenden. Das wird in Zukunft nicht mehr reichen, wenn die Arbeitnehmerüberlassung nicht „offen“ erfolgte.
Gesetzliche Fixierung der Abgrenzungskriterien
Laut Koalitionsvertrag sollen zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden „die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt“ werden. Das wird nicht zu mehr Rechtssicherheit führen – man erinnere sich nur an die Vermutungsregel „3 aus 5“ des § 7 Abs. 4 SGB IV a.F. bei der Frage der Scheinselbstständigkeit – und hatte man schon in den 70er Jahren zweimal versucht.
Die Gerichte wenden schon heute einen differenzierten Abgrenzungskatalog an – freilich mit für die Praxis mehr oder weniger vorhersehbaren Ergebnissen. Eine gesetzliche Fixierung hilft hier aber auch nicht weiter. Ein solcher Katalog scheint auch nicht erforderlich, um die Prüftätigkeit von Behörden zu erleichtern. Eine solche Hilfestellung enthalten für die Arbeitsagenturen schon die Durchführungsanweisungen.
Zurück in die Zukunft: Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten
Laut Koalitionsvertrag sollen Zeitarbeitseinsätze auf maximal 18 Monate beschränkt werden, wobei Abweichungen durch Tarifverträge der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags durch Betriebsvereinbarungen möglich sein sollen, allerdings „unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften“. Zuletzt galt bis Ende 2003 eine Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten, wobei nach zwölf Monaten Equal Pay und Equal Treatment galt.
Diese Höchstüberlassungsdauer ist wohl vereinbar mit EU-Recht, weil die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG den Mitgliedstaaten keine genauen Vorgaben macht, ihnen vielmehr einen großen Regelungsspielraum lässt bei der Erreichung der Richtlinienziele (vgl. Stellungnahme des Generalanwalts Szpunar vom 20.11.2014 im Verfahren Rs. C-533/13, vgl. dazu auch den Blogbeitrag von Zimmermann). Um eine Substitution der Stammbelegschaft durch Leiharbeitnehmer zu verhindern, die der Generalanwalt als Missbrauch wertet, dürfte die Höchstüberlassungsdauer aber wohl nicht rein arbeitnehmerbezogen ausgestaltet werden.
Welche zivilrechtlichen Folgen an eine Überschreitung der Höchstdauer anknüpfen, sagt der Koalitionsvertrag nicht. Früher (bis 1997) wurde über die vermutete Arbeitsvermittlung und § 13 AÜG a.F. ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert. Das lehnt das BAG für die geltende Rechtslage – Stichwort „vorübergehend“ – zu Recht ab (grundlegend BAG, Urteil vom 10.12.2013 – 9 AZR 51/13). Dem Betriebsrat des Einsatzbetriebs wird ein Zustimmungsverweigerungsrecht zustehen, wenn die zulässige Höchstdauer überschritten wird (vgl. BAG, Beschlüsse vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 und 30.09.2014 – 1 ABR 79/12, vgl. dazu auch den Blogbeitrag von Bissels).
Neben zivilrechtliche Sanktionen kann eine Ordnungswidrigkeit treten. Bis 2003 war die Einhaltung der Überlassungshöchstdauer über eine Geldbuße gesichert.
Nach neun Monaten: Equal Pay
Die Formulierung im Koalitionsvertrag („künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt“) verweist ausdrücklich nur auf eine Gleichstellung spätestens nach neun Monaten im Hinblick auf das Arbeitsentgelt (Equal Pay). Ob das eine bewusste Entscheidung nur für Equal Pay ist und gegen eine vollständige Gleichbehandlung bei den Arbeitsbedingungen (Equal Treatment), wird die Regelung zeigen. Die Leiharbeitsrichtlinie verlangt eine Gleichbehandlung bei den wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, nicht nur beim Entgelt.
Der praktische Anwendungsbereich der Regelung dürfte bei der legalen Überlassung eher gering bleiben. Nur sehr wenige Leiharbeitnehmer erreichen eine Einsatzdauer von neun Monaten. Schon heute gilt im Übrigen in elf Branchen beschränktes Equal Pay durch die Branchenzuschlagstarifverträge.
Kein Streikbrecher-Einsatz
§ 11 Abs. 5. AÜG soll laut Koalitionsvertrag wohl dahingehend verschärft werden, dass bei einem Streik ein Beschäftigungsverbot für Leiharbeitnehmer besteht. Es heißt dort: „Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.“ Bislang besteht (nur) ein Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers, auf das er vom Zeitarbeitsunternehmen hinzuweisen ist. Er kann dann frei entscheiden, ob er im bestreikten Betrieb arbeitet. Die aktuellen DGB-Tarifverträge der Zeitarbeit sehen allerdings heute schon vor, dass Leiharbeitnehmer nicht in bestreikten Betrieben eingesetzt werden dürfen (z.B. § 12 Manteltarifvertrag iGZ-DGB-Tarifgemeinschaft).
Betriebsverfassungsrechtliche Schwellenwerte: Leiharbeitnehmer zählen
Die Formulierung im Koalitionsvertrag zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten („Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.“) entspricht der aktuellen Rechtsprechung des BAG zu §§ 111 und 9 BetrVG (vgl. Beschlüsse vom 18.10.2011 – 1 AZR 335/10 und 13.03.2013 – 7 ABR 69/11; vgl. dazu auch den Blogbeitrag von Zimmermann).
Ungeklärt ist, ob Leiharbeitnehmer auch bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung mitzählen (vgl. einerseits LAG Hessen, Beschluss vom 11.04.2013 – 9 TaBV 308/12, Rechtsbeschwerdeverfahren 7 ABR 42/13 anhängig, Termin ist anberaumt auf 04.11.2015; andererseits OLG Hamburg, Beschluss vom 31.01.2014 – 11 W 89/13). Wenn tatsächlich nur der Inhalt des Koalitionsvertrages umgesetzt wird, wird der Gesetzentwurf hierzu keine Regelungen enthalten.
Fazit und Ausblick
Selbst wenn sich die Gesetzesnovelle eng an den Koalitionsvertrag hält: Die AÜG-Reform wird erhebliche Einschränkungen für die Branche und die Einsatzunternehmen zur Folge haben. Es bleibt für die Praxis zu hoffen, dass die Ministerin mit mehr Augenmaß vorgeht als bei der Arbeitsstättenverordnung und den Schutzstandard berücksichtigt, den schon heute die Tarifverträge der Zeitarbeit geben.