Richter ohne Unrechtsbewusstsein? – Wie eine Kündigung für ein Gericht zum Desaster wird

Prof. Dr. Arnd Diringer, Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg und Mitglied im Beirat des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen e.V.

Prof. Dr. Arnd Diringer, Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg und Mitglied im Beirat des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen e.V.

Dass es schwierig ist, verhaltensbedingte Kündigungen erfolgreich vor den Arbeitsgerichten durchzusetzen, weiß jeder Jurist. Sie sollten daher besonders gut vorbereitet werden. Auch dass kündigende Arbeitgeber schnell ins Visier der Medien geraten können, sollte seit dem Fall „Emmely“ (BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, DB 2010 S. 2395) jedem bewusst sein. Was passiert, wenn man all das ignoriert, zeigt ein jüngst vom BAG entschiedener Fall (BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 85/15).

Hintergrund

Dem „IT-Verantwortlichen“ des OLG Naumburg wurde außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt, nachdem auf seinem Dienstrechner und weiteren Festplatten mehrere tausend E-Books, Bild-, Audio- und Videodateien sowie ein Programm zur Umgehung des Kopierschutzes gesicherter Dateien gefunden wurden. Allein innerhalb eines Zeitraums von ca. 2,5 Jahren wurden über 1.000 DVDs bearbeitet. Der auch für die Materialbestellung zuständige „IT-Verantwortliche“ hatte in dieser Zeit ungefähr die gleiche Menge DVDs über das Gericht bestellt – ohne dass dies dienstlich erklärbar war.

Ein klarer Fall also? Nach dem in der PM des BAG vom 16.07.2015 (2 AZR 85/15) geschilderten Sachverhalt kann man schnell diesen Eindruck gewinnen. Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn nach dem von den Vorinstanzen, dem ArbG Halle (Urteil vom 04.12.2104 – 3 Ca 1303/3) und dem LAG Sachsen Anhalt (Urteil vom 19.12.2014 – 4 Sa 10/14), festgestellten Sachverhalt gab es einige Besonderheiten. Und bei denen reibt man sich verwundert die Augen.

„Möglicherweise“, so führen die Gerichte übereinstimmend aus, wurden im vorliegenden Fall „bestimmte Dinge toleriert und geduldet, wohl weil eine Anzahl von Mitarbeitern des Hauses hiervon in unterschiedlicher Weise profitiert hat. Nachdem jedoch bestimmte Sachverhalte und Verhaltensweisen offiziell festgestellt, gemeldet und damit nachweislich bekannt wurden, wurde sogleich ein Exempel statuiert.“ Nicht nur möglicherweise, sondern unbestritten war es dem gekündigten Arbeitnehmer sogar erlaubt, „sich um die Privatrechner von Mitarbeitern des Hauses „zu kümmern“, wenn ein Problem auftrat. Hier durfte er also während der Arbeitszeit nicht dienstliche Dinge erledigen“, so die Feststellung des ArbG.

Von der Tätigkeit des IT-Verantwortlichen profitiert haben nach den Darlegungen des LAG „fast alle Beschäftigten einschließlich der Richterschaft“. „Für seine Handlungen“, so das Gericht, „fehlte dem Kläger deshalb möglicherweise wie vielen anderen (auch richterlichen) Bediensteten (…) ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein.“

Entscheidung

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die Vorinstanzen der Kündigungsschutzklage stattgegeben haben.

Das LAG hat sich zur Begründung vor allem darauf gestützt, dass unklar sei, welchen Tatbeitrag der gekündigte Mitarbeiter überhaupt geleistet habe. Es geht darüber hinaus davon aus, dass die Zwei-Wochen-Frist für eine außerordentliche Kündigung nicht gewahrt wurde. Das beklagte Land habe durch lediglich eigene Ermittlungen – ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden – weder eine umfassende Aufklärung leisten noch den Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB hemmen können. Zudem habe es gegen andere Beschäftigte keine vergleichbaren Maßnahmen getroffen und den Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet.

Die obersten Arbeitsrichter folgten dieser Einschätzung nicht. Nach ihrer Meinung kommt eine (außerordentliche) Kündigung auch dann in Betracht, wenn der Angestellte nicht alle fraglichen Handlungen selbst vorgenommen hat. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB werde gewahrt, solange der Arbeitgeber die Ermittlungen zügig durchführt. Ob das beklagte Land auch gegen andere Bedienstete Maßnahmen ergriffen hat sei irrelevant, da der Gleichbehandlungsgrundsatz bei verhaltensbedingten Kündigungen grds. keine Anwendung findet. Und da auch der Personalrat nach Einschätzung der Erfurter Richter ordnungsgemäß angehört wurde, hat das BAG das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das LAG zurückverwiesen.

Auswirkungen

Damit ist weiterhin unklar, ob die Kündigung Bestand haben wird. Es spricht aber viel dagegen.

Zwar muss das LAG die Rechtsauffassung der Erfurter Richter berücksichtigen, dass eine Kündigung auch dann in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer nicht alle fraglichen Handlungen selbst vorgenommen hat. Ob und ggf. in welchem Umfang ihm konkrete Tathandlungen nachgewiesen werden können, ist aber offen. Geht man wie das ArbG Halle davon aus, dass nur eine „Privatnutzung in geringem Umfang“ zu belegen ist, wird die Kündigung des zum Kündigungszeitpunkt seit über 20 Jahren beim Land beschäftigten, 59-jährigen Arbeitnehmers ohne vorherige Abmahnung wohl keinen Bestand haben.

Ein Unterliegen im Kündigungsrechtstreit dürfte aber wohl bald zu den kleineren Problemen des OLG Naumburg gehören, nachdem der Fall auch ins mediale Blickfeld geraten ist. Der Steuerzahler wird nicht gerade begeistert sein, wenn er erfährt, dass sich der „IT-Verantwortliche“ eines OLG während seiner Arbeitszeit um die privaten PC-Probleme von Justizbeschäftigten kümmern darf. Und es stärkt sicherlich nicht das Vertrauen in die Justiz, wenn in einem Urteil festgestellt wird, dass Richtern an einem OLG bei eigenen Verfehlungen das Unrechtsbewusstsein fehlt.

Medienberichten zufolge ermittelt mittlerweile sogar die Staatsanwaltschaft wegen Verstößen gegen das Urheberrechtsgesetz und auch der Rechtsausschuss des Landtags hat sich, ebenso wie das Justizministerium, bereits mit den Vorgängen befasst.

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