Kammergericht Berlin: Vorlage an den EuGH in Sachen Unternehmensmitbestimmung

RA Dr. Thomas Gennert, McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP, Düsseldorf

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Der Entscheidung des Kammergericht Berlins im Statusverfahren der TUI AG vom 26. Oktober 2015 (14 W 89/15) wurde in den Medien kaum Beachtung geschenkt. Dabei ist die Entscheidung für eine Vielzahl von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen höchst brisant.

Der Sachverhalt

Ein Aktionär strengte gegen die TUI AG ein sog. Statusverfahren an, weil er der Ansicht ist, deren Aufsichtsrat sei nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt. Die TUI AG beschäftigt in Deutschland etwa 10.000, innerhalb der EU aber fast 40.000 Arbeitnehmer. Der Antragsteller ist der Auffassung, das MitbestG verstoße gegen Unionsrecht, weil die im europäischen Ausland beschäftigten Arbeitnehmer des TUI Konzerns aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Denn im Gegensatz zu in Deutschland lebenden Arbeitnehmern können sie weder die Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrats der TUI AG wählen, noch selbst in den Aufsichtsrat gewählt werden.

In erster Instanz entschied das LG Berlin am 1. Juni 2015 (102 O 65/14, DB 2015 S. 1588) u.a., dass in Bezug auf die im Unionsausland Beschäftigten keine Diskriminierung vorliege, sondern lediglich eine „Reflexwirkung“, welche aber unterhalb der Eingriffsschwelle für einen Unionsrechtsverstoß zurückbleibe.

Die Entscheidung des Kammergerichts – Verstoß gegen Unionsrecht möglich

Das Kammergericht Berlin hat das Verfahren nun ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob mit Unionsrecht zu vereinbaren sei, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind. Seiner Ansicht nach ist es durchaus vorstellbar, dass im Unionsausland beschäftige Arbeitnehmer aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert und in ihrer Freizügigkeit beschränkt werden.

Weitreichende Folgen für eine Vielzahl von Unternehmen denkbar

Die Entscheidung kann weitreichende Folgen für die Unternehmensmitbestimmung haben. Mag es im Falle von TUI noch um die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im unternehmensmitbestimmten, paritätisch besetzten Aufsichtsrat gehen und im ungünstigsten Fall (erhebliche) Kosten für unionsweite Wahlen für die Betriebe und Konzernunternehmen nach sich ziehen, birgt die Vorlage für andere Unternehmen ein weiteres Risiko:

Das Kammergericht bezieht sich in seiner Begründung auf die Auslegung des Begriffes der „Arbeitnehmer“ i.S.d. MitbestG. Dies sind nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur aber allein die Arbeitnehmer solcher Betriebe, die im Inland liegen. Kommt der EuGH nun zu dem Ergebnis, dass hierin eine Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern liegt, könnte dies für eine Vielzahl von Unternehmen die erstmalige Einführung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung nach dem MitbestG bedeuten.

In jüngster Zeit haben das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 20. Februar 2014 – 3 W 150/13) und das LG München I (Beschluss vom 27. August 2015 – 5 HKO 2285/14) gleichgerichtete Begehren mit einer Verneinung eines Unionsrechtsverstoßes abgewiesen. Das LG Frankfurt a.M. (Beschluss vom 16. Februar 2015 – 3-16 O 1/14) entschied im Statusverfahren der Deutschen Börse AG demgegenüber, im Ausland Beschäftigte seien nicht von der Unternehmensmitbestimmung ausgeschlossen und daher an der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat zu beteiligen (und entsprechend bei der Berechnung der Schwellen des MitbestG zu berücksichtigen!).

Unklar ist, warum das Kammergericht diese Frage dem EuGH überhaupt vorlegt, denn das MitbestG selbst enthält dem Wortlaut nach keine Inlandsbeschränkung des Begriffs der Arbeitnehmer. Soweit die herkömmliche Begründung hier auf das sog. „Territorialitätsprinzip“ abstellt, sah sich offenkundig das LG Frankfurt a.M. nicht daran gehindert, diesen Rechtsgrundsatz unangewendet zu lassen, bzw. insoweit zu verwerfen.

Fazit

Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin ist in mehrfacher Hinsicht brisant. Insbesondere Unternehmen, die bisher der paritätischen Mitbestimmung nicht unterfallen, aber Betriebe in Mitgliedstaaten der Union unterhalten, sollten den weiteren Verfahrensgang mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Wenn die bisher als gefestigt geltende herrschende Auffassung weiter bröckelt, dürfte eine Welle von Statusverfahren anstehen, zumal bei Aktiengesellschaften Aktionäre antragsberechtigt sind, auch wenn sie nur eine einzige Aktie halten: So hat das Statusverfahren gegen die Deutsche Börse AG vor dem LG Frankfurt ein Münchener Rechtsprofessor eingeleitet. Aber auch unternehmensmitbestimmten Unternehmen droht Ungemach, wenn sie ihre Aufsichtsratswahlen – nunmehr unionsweit – wiederholen müssen.

Alle Kommentare [1]

  1. Klar ist, warum das Kammergericht vorlegt, denn es ist wie die Antragsteller in diesen Verfahren der Ansicht, dass die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten nichts verloren haben.
    Hatte die Vorinstanz auf immerhin 6 Seiten dargelegt, warum hier keine Europarechtswidrigkeit vorliegt,(dazu jetzt auch zustimmend Winstel in EWiR 2015, 635 f.), braucht das Kammergericht für seine Begründung eine knappe Seite. Ein Verstoß gegen Unionsrecht sei möglich, da nur Inländer zu beteiligen seien. Der Senat sieht es ferner als vorstellbar an, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer verletzt sei…
    Eine so formulierte Vorlage nähme das Bundesverfassungsgericht nicht an.
    Demgegenüber ist festzuhalten: alle Aufsichtsratsmitglieder unterliegen dem Unternehmensinteresse. Dass Arbeitnehmer wegen der Gefahr des Verlustes des Mandats keine Stelle in einer Auslandstochter nicht annähmen ist lebensfremd.
    Der Senat verweist auf den Gesetzgeber bezüglich einer Ausgestaltung des Wahlrechts für die in den Mitgliedsstaaten Beschäftigten.Dazu hatte mit Recht die Vorinstanz auf das Territorialitätsprinzip verwiesen. Der Hinweis im Gastkommentar von Gennert auf LG Frankfurt(16.2.2015) das dieses Prinzip einfach verworfen habe, hilft jedoch nicht weiter. Deutschland kann nun einmal keine Regeln für die Wahlen in den anderen EU-Staaten erlassen, von deren rechtssicheren Praktizierung ganz zu schweigen.