Mit Beschluss vom 4. November 2015 (7 ABR 42/13) setzt das Bundesarbeitsgericht seine neue Rechtsprechung fort, nach der bei der Zahl der Arbeitnehmer eines Betriebs und Unternehmens auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sein können. Danach zählen diese nun auch bei der Bildung von Aufsichtsräten mit.
Hintergrund
Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmervertretern – wie Wahl und Größe eines Betriebsrats, dessen Beteiligungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen und Betriebsänderungen und die Unternehmensmitbestimmung – hängen häufig davon ab, wie viele Arbeitnehmer ein Betrieb bzw. das Unternehmen „hat“ bzw. „in der Regel beschäftigt“. Lange galt, dass Leiharbeitnehmer in dem Betrieb und Unternehmen des Entleihers bei diesen Schwellenwerten nicht mitzuzählen sind. Leiharbeitnehmer stehen nur zu dem Verleiher in einem Arbeitsverhältnis, der sie Dritten, den Entleihern, vorübergehend zur Arbeitsleistung überlässt. Betriebsorganisatorisch bestimmt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in § 14 Abs. 1 ausdrücklich, dass Leiharbeitnehmer auch während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebs des Verleihers bleiben.
BAG zählt Leiharbeitnehmer grundsätzlich bei Schwellenwerten mit …
Trotz dieser klaren gesetzlichen Zuordnung zum Verleiherbetrieb hat das BAG in jüngerer Zeit aber entschieden, dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung arbeitsrechtlicher Schwellenwerte im Betrieb und Unternehmen des Entleihers unter bestimmten Voraussetzungen zu berücksichtigen sind (so im Hinblick auf die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen: BAG, Urteil vom 18.10.2011 – 1 AZR 335/10; zum Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes: BAG, Urteil vom 24.01.2013 – 2 AZR 140/12; für die Größe des Betriebsrates: BAG, Beschluss vom 13.03.2013 – 7 ABR 69/11). Nach dieser Rechtsprechung kommt es für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs (die jeweils bejaht wurde) auf eine normzweckorientierte Auslegung des jeweiligen gesetzlichen Schwellenwertes an.
… nun auch bei der Bildung von Aufsichtsräten …
Diese Rechtsprechung wendet das BAG in der – bislang nur als Pressemitteilung (Nr. 52/15) vorliegenden – neuen Entscheidung nunmehr auch auf die Unternehmensmitbestimmung an. Nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) ist in Unternehmen bestimmter Rechtsformen, wenn sie in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, ein Aufsichtsrat zu bilden, der sich je zur Hälfte aus Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammensetzt. Im entschiedenen Fall war dieser Eingangsschwellenwert unproblematisch, auch ohne Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern, deutlich überschritten. Fraglich war jedoch, ob die Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat in unmittelbarer Wahl oder, wie dies § 9 MitbestG in Unternehmen mit in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern grundsätzlich vorsieht, durch Delegierte zu wählen waren. Dieser Schwellenwert war hier nur unter Einbeziehung von 444 auf Stammarbeitsplätzen eingesetzten wahlberechtigten Leiharbeitnehmern überschritten. Das BAG bejaht wie die Vorinstanzen deren Berücksichtigung im konkreten Fall. Ob dies auch für andere Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung gilt – insbesondere hinsichtlich der „Eingangsschwellenwerte“ dafür, dass den Arbeitnehmern überhaupt ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat zusteht (§ 1 Abs. 1 Drittelbeteiligungsgesetz bzw. § 1 Abs. 1 MitbestG) –, hat das BAG ausweislich der Pressemitteilung ausdrücklich nicht entschieden. Das BAG bleibt also bei seiner Einzelfallbetrachtung der konkreten Norm und vermeidet verallgemeinernde Aussagen. Indes weist die Tendenz der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich zu einer Berücksichtigung und ist, auch wenn die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, nicht ersichtlich, dass für die den Zugang zur Unternehmensmitbestimmung eröffnenden Schwellenwerte anders zu entscheiden wäre. Es ist daher davon auszugehen, dass das BAG Leiharbeitnehmer auch insoweit mitzählen wird.
Gegenteilige Ansicht des OLG Hamburg
Interessant ist dann allerdings, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit in Gestalt des OLG Hamburg (Beschluss vom 31.01.2014 – 11 W 89/13) dies bereits gegenteilig entschieden hat. Das Oberlandesgericht referiert zwar die o. g. vorausgegangenen Entscheidungen des BAG zu den Schwellenwerten nach den §§ 111 und 9 BetrVG, wendet sich für die Unternehmensmitbestimmung jedoch gegen eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) zu dieser Frage steht trotz erhobener Rechtsbeschwerde noch aus, da diese als unzulässig verworfen wurde (Beschluss vom 27.01.2015 – II ZB 7/14). Künftig könnte dies aber noch ein Fall für den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes werden (nach Artikel 95 Abs. 3 GG/§ 2 Abs. 1 RsprEinhG).
Praxishinweise
Für die Praxis wichtig ist, dass keinesfalls jeder Leiharbeitnehmer für Schwellenwertberechnungen zu berücksichtigen ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob er auf einem Stammarbeitsplatz eingesetzt wird und wie lange der Einsatz dauert. Wird – wie auch vorliegend – auf die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer abgestellt, zählen Leiharbeitnehmer nur mit, wenn sie länger als drei Monate im Entleiherbetrieb eingesetzt werden, weil sie nur dann nach § 7 S. 2 BetrVG aktiv wahlberechtigt sind (das passive Wahlrecht schließt § 14 Abs. 2 AÜG grundsätzlich aus). Zu den „in der Regel“ Beschäftigten gehören sie sogar nur, wenn sie normalerweise länger als sechs Monate beschäftigt werden (BAG, Urteil vom 18.10.2011 − 1 AZR 335/10). Umgekehrt zählen Leiharbeitnehmer nicht mit, die nur im Ausnahmefall, über die normale Personalstärke des Betriebs hinaus eingesetzt werden.