Am 01.01.2016 ist in Polen ein neues Gesetz zur Sanierung von Unternehmen in Kraft getreten. Die Änderungen betreffen das Insolvenz- und Sanierungsrecht vom 28.02.2003 und novellieren somit die seit knapp 13 Jahren gängige Praxis. Für deutsche Investoren in Polen – deren Investitionsvolumen liegt seit 1989 bei etwa 27 Mrd. € – ist das neue, hochmoderne Restrukturierungsgesetz von erheblicher Bedeutung. Auf der neuen rechtlichen Basis kann nun die Sanierung eines Unternehmens in der Krise in Polen funktionieren. Zwar sah auch das alte Sanierungsrecht eine Sanierung vor, doch in der Praxis spielte sie nie eine wesentliche Rolle: Mehr als 80% aller Insolvenzen wurden über eine Liquidation abgewickelt.
Polen reagiert mit dieser Gesetzesreform auf eine mehr als zehnjährige Entwicklung in der EU im Zusammenhang mit Unternehmenssanierungen: Denn seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren (EUInsVO) am 31.05.2002 in allen EU-Ländern außer Dänemark fanden nicht selten Sanierungen von Unternehmen in anderen EU-Mitgliedstaaten statt. Anknüpfungspunkte für solche Sanierungen in anderen EU-Mitgliedstaaten waren entweder der vom Registersitz abweichende Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit Art. 3 (EUInsVO) oder moderne Sanierungsverfahren, wie das Scheme of Arrangement in England (zugänglich etwa durch die Wahl von UK-Recht in Kreditverträgen, z.B. im Fall Rodenstock). Neben einer Reform der EUInsVO im Jahr 2017 drängt der EU-Gesetzgeber die Mitgliedstaaten außerdem zur Einführung von außergerichtlichen Sanierungsverfahren (soweit – wie in Deutschland – noch nicht vorhanden).
Sanierung statt Liquidation in Polen
Polen ist dem Wunsch des EU-Gesetzgebers bereits nachgekommen. Denn in Polen wird es fortan drei verschiedene Vergleichsverfahren geben, die nicht in das bestehende Insolvenzrecht eingebettet sind und auch nicht als Insolvenzverfahren gelten. Hierbei wird das Verfahren lediglich unter Aufsicht gestellt, sonst aber in Eigenverwaltung versucht. Vergleiche mit einzelnen Gläubigern oder selektierten Gläubigergruppen sind möglich. Daneben bietet das neue polnische Gesetz ein viertes Verfahren, das sich mit der Sanierung befasst. Dieses Verfahren sieht auch Elemente der operativen Restrukturierung vor. Neben der Möglichkeit von Anpassungen der Arbeitnehmerstruktur enthält das Gesetz auch die Möglichkeit, sich von schwebenden Geschäften zu trennen. Ein solches Verfahren kann unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag bei Gericht auch in Eigenverwaltung durchgeführt werden. (Neben den vorgenannten Verfahren besteht die Möglichkeit eines sog. Pre Package Deals. Hierbei werden Assets an einen Käufer mit Zustimmung des Gerichts übertragen, wenn der Kaufpreis auf der Basis eines gerichtlich beauftragten Gutachtens höher als der geschätzte Liquidationswert abzüglich der voraussichtlichen Verfahrenskosten ist).
In der Praxis ist die Sanierung von Unternehmen in Polen jedoch noch nicht gängiger Alltag. Es bleibt also abzuwarten, wie schnell sich Richter, Gläubiger, Arbeitnehmervertreter, das Management und nicht zuletzt die Eigentümer selbst nebst Kunden und Lieferanten das neue Gesetz zu eigen machen.
Für die zahlreichen Investoren in Polen ist das Inkrafttreten der Gesetzesreform gleichwohl eine hervorragende Nachricht: Gerät ein Unternehmen in Polen unverschuldet in eine wirtschaftliche Krise, bietet Polen ab sofort ein modernes Regelwerk, um eine Unternehmenssanierung erfolgversprechend umzusetzen.
Außergerichtliches Sanierungsverfahren in Deutschland nach polnischem Vorbild?
Der deutsche Gesetzgeber sollte sich ein Vorbild an Polen nehmen und ebenfalls über die Einführung eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens nachdenken. Denn mit Eigenverwaltung, Schutzschirm und Insolvenzplanverfahren stehen in Deutschland Sanierungsinstrumente zur Verfügung, die ausschließlich in einem Insolvenzgesetz verankert sind. Diese Instrumente sind außerdem nur dazu geeignet, sämtliche Gläubiger eines Unternehmens mit in eine Sanierung zu ziehen, auch wenn für eine erfolgreiche Sanierung Vergleiche mit lediglich einer Gläubigergruppe – etwa Kreditinstitute oder Lieferanten – ausreichend wären. Somit besteht nach wie vor die Gefahr, dass sich die Restrukturierung von Unternehmen und Unternehmensgruppen aus deutscher Sicht ins Ausland verlagert.